Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Jomini (Baron Henri), Generallieutenant und Adjutant des Kaisers Alexander, ein ausgezeichneter militärischer Schriftsteller, geb. zu Payerne im Waadtlande um das J. 1775, diente in Frankreich in einem Schweizer-Regimente, als der 10. August 1792 die Auflösung dieser Truppen herbeiführte. Jomini wählte jetzt den Handel. Er war Obristlieutenant bei der Landmiliz, als Ney 1802 eine Sendung in das Waadtland erhielt, wo er Jomini kennen lernte und seitdem dessen Beförderer wurde. Jomini trat 1803 in ein Pariser Handelshaus; aber seiner ganze Muße weihte er seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Studium der Taktik. Schon begann im Jahre 1804 der Druck seines Traité des grandes opérations militaires, als ihn Ney mit dem Grade eines Bataillonschefs bei seinem Generalstabe anstellte.

Am Ende des Jahres 1805 ward er in Dienstsachen nach Wien zum Kaiser Napoleon gesandt, dem er die beiden ersten Bände seines Werks überreichte. Er fand Beifall, und Napoleon erhob den Verfasser zum Obersten. Darauf machte Jomini, als Chef vom Generalstabe das Marschall Ney, die Feldzüge 1806 und 7 in Preußen und Polen mit, wurde Brigade-General und Baron, folgte dann dem Marschall Ney nach Spanien, wo er an den Feldzügen 1808 und 1809 Theil nahm, trat in der Folge in den Ober-Generalstab des Marschall Berthier, hatte aber mit diesem einige Streitigkeiten, weshalb er seinen Abschied nehmen wollte. Er erhielt ihn nicht, begab sich aber in die Schweiz, und wurde erst 1812 wieder bei der großen Armee, die in Rußland eindrang, angestellt. Hier blieb er als Gouverneur in Smolensk, bis zu dem unglücklichen Rückzuge. Darauf nahm er bei dem Ober-Generalstabe, an dem Feldzuge 1813 in Sachsen Theil.

Allein nach Aufkündigung des Waffenstillstandes von Pleischwitz verließ er heimlich das Heer in Schlesien, und ging den 14. August zu den Verbündeten über. Napoleon hatte ihm nämlich den Grad eines Divisions-General verweigert. Er ward von einem Kriegsgericht zum Tode verurtheilt; allein Alexander ernannte ihn zum Generallieutenant und zu seinem Adjutanten. Als solcher kämpfte er mit gegen die Franzosen. Hierüber machte ihm General Sarrazin in seiner Geschichte dieses Krieges so beleidigende Vorwürfe, daß Jomini an ihn schrieb und Genugthuung verlangte. Da er diese nicht erlangen konnte, ließ er die deshalb gewechselten Briefe drucken (Correspondance entre le Général Jomini et le Gén. Sarrazin, sur la campagne de 1813).

Jomini befand sich 1815 im Gefolge des Kaisers Alexander in Paris, wo er von Ludwig XVIII. das Ludwig-Kreuz erhielt.

Die erste Ausgabe seines oben genannte Werks erschien unter dem Titel: Traité de grande tactique, 2 vol. 8. m. e. Atlas, Paris 1805; die zweite unter dem Titel: Traité des grandes opérations militaires, oder Relation critique et comparative des campagnes de Frédéric et de Napoléon. Die dritte Auflage erschien 1817, 8. vol. mit 2 Atl. Der 7te und 8te Theil enthalten die Histoire critique et milit. des campagnes de la révolution.

Jomini's Operationslehre beruht auf dem doppelten Grundsatze von der Zusammenziehung der Streitkräfte und von der Initiative der Bewegungen. Indeß hat er manchmal Napoleon auf Kosten Friedrichs des Großen, des ersten unter den neueren Tactikern, zu sehr erhoben. Doch bleibt sein Werk für die Kriegsgeschichte schätzbar, weil Jomini aus den Archiven des Kriegsministeriums und andern Amtsquellen geschöpft hat. Was Friedrichs Feldzüge betrifft, hat er aus Loyd und Tempelhof genommen. Kürzlich ist von ihm erschienen ein Tableau de la campagne d'automne en Allemagne, Paris 1817, und in den europäischen Annalen 1817.


Der General Baron Jomini.

Wer den Namen Jomini aussprechen hört, dankt auch sogleich an jenes classische Werk, Traité de la grande tactique, das nach der zweiten wesentlich vermehrten Ausgabe unter der Aufschrift: kritische und militärische Geschichte der Feldzüge Friedrichs II., verglichen mit denen des Kaisers Napoleon, *) auch ins Deutsche übersetzt wurde, und sich in der Handbibliothek jedes Geschichtforschers und Mannes vom Metier eine ehrenvolle Stelle erworben hat. Die darin lichtvoll entwickelte Idee von der Operationslinie mag auch andern Tactikern schon eingeleuchtet haben, aber mit solcher Evidenz ward sie nirgends abgehandelt. Die Haupttheile des Angriffs, die strategische Bewegung der Massen auf den entscheidenden Punkten und die möglichste Wirksamkeit der so bewegten Massen am Tage der Schlacht erhalten durch die Parallele, welche das Ganze gleichsam durchdringt und belebt, ein wahrhaft historisches Interesse. Möglich, daß nicht jeder in alle Resultate einstimmt, die davon abgezogen werden, nicht jede Kritik unterschreibt, wie z. B. die über Bülows geistreiche Ideen, nicht jedes Urtheil über des französischen Kaisers gepriesene Strategie zu dem seinen macht; wiewohl es auch nicht an freimüthigen Bemerkungen über ihn fehlt. Immer gehört diese Bearbeitung und Benutzung eines Lloyd und Tempelhof zu den zeitgemäßesten, und ihr Verfasser zu den achtungswürdigsten Schriftstellern dieses militärischen Zeitalters.

*) Davon sind unsers Wissens schon vier Theile erschienen (Tübingen, bei Cotta), die der Oberst des königl. baierschen Ingenieurs-Corps, Hr. v. Volderndorf, zweckmäßig bearbeitet, und das königl. lithographische Institut, unter dem Geh. rath Utzscheider, mit Schlachtplanen und Zeichnungen versehen hat.

Derselbe Mann erhielt aber im Laufe des Jahres 1813 auch durch seine Schicksale eine Celebrität, die nicht nur dem studirenden, sondern auch dem Zeitung lesenden Publicum überhaupt den Namen Jomini sehr merkwürdig machte. Wer erinnert sich nicht an die heftigen, ganz in Galle getauchten Ausfälle in französischen Blättern, worin seine Proscription feierlichst ausgesprochen wurde? Jomini hatte das Glück, sich vom Generalstabe des Marschalls Ney, als der Waffenstillstand zu Ende war, in das Hauptquartier des Kaisers Alexander zu retten, und dort als Generaladjutant des russischen Kaisers angestellt zu werden. Ein solcher Entschluß, mag er auch aus den edelsten Beweggründen entsprungen und vor jedem Gewissens- und Ehrengerichte als untadelhaft erkannt worden seyn, wird von der Menge, die stets, wie ein Kahn ohne Ruder, auf den Wellen der Vorurtheile herumschaukelt, nur zu oft schon darum falsch beurtheilt, weil er das alltägliche Gleis überschreitet. Und wer kennt nicht den unerschöpflichen Doppelsinn des in unsern Tagen bis zur Gotteslästerung gemißbrauchten *) und entheiligten Wortes Treue. Denn wie voreilig nannte man schon oft auch dasjenige Treubruch, was nur Hochgefühl, unveräußerliche Menschenrechte, Lösung schmählicher Fesseln und Tilgung unverdienter Uebel war. Wie oft hörte man jene Maxime, die dort Schiller seinem Wallenstein in den Mund legt, als ihm der edle Schwede an den Puls gefühlt hatte:

Die Treue
ist jedem Menschen, wie der nächste Blutsfreund,
als ihren Rächer fühlt er sich geboren,
wer Treue bricht, ist aller Treuen Feind,

auf völlig unpassende Fälle zur Ungebühr anwenden. Darum eben mag es ehrenvesten Kriegern und Feldherren, die durch richtigeres Ehrgefühl und Gewissen in diesem schwer zu lösenden Doppelsinne des Lebens verwickelt wurden, vor allen andern wohl ziemen, über die wahren Beweggründe ihres Ueberganges zur entgegengesetzten Partei dem weniger unterrichteten Publicum Rechenschaft abzulegen. Das alte Wort: wer entschuldigt, beschuldigt, kann in solchen Fällen wenigstens nur objectiv seine Anwendung finden.

*) Es ist hohe und gerechte Zeit, an die fünfte Lection zum vierten Gebot in dem Catechisme à l'usage de l'Empire français zu erinnern (p. 36 - 38). Die Frage ist: Pourquoi sommes-nous tenus de ces devoirs envers l'Empereur, und darauf lehrt der Normal-Catachismus die Antwort: Parce que Dieu -- l'a rendu ministre de sa puissance et son imago sur la terre. Nun wird weiter gefragt: Que doit-on penser de ceux qui manqueraient à leurs devoirs envers l'Empereur? und die Antwort lautet: Selon l'apôtre St.-Paul -- ils seraient dignes de la damnation éternelle. --

Diese und ähnliche Rücksichten bewogen auch den General Baron Jomini, aus einer größern Schrift, die er über die Begebenheiten des Jahres 1813 niederschrieb, fürs erste nur ein kleines Bruchstück herauszugeben, worin er bloß von sich selbst spricht und die Ursachen angibt, die ihn jene ganz Europa und selbst jedem bessergesinnten Franzosen verhaßte Sache aufzugeben bewogen. So klein diese Schrift *) in ihrer Blätterzahl auch ist, so wichtig ist doch ihr Inhalt, und so viel Stoff zum Nachdenken bietet die jedem Unbefangenen. Denn sie enthüllt, wie bis hetzt nur selten geschehen ist, die Maßregeln, unter deren eisernem Druck jeder seufzt, den die arglistige Zwingherrgewalt zu ihrem blindgehorchenden Werkzeuge sich erwählte. Wie viele, die entweder durch goldene Ketten gefesselt, das Gold, selbst an der Sclavenkette, lieb haben, oder zu feig und entnervt sind, möchten nicht in diesem Augenblicke auch an der Stelle des Mannes seyn, der sich so lösete!

*) Extrait d'une brochure intitulée: Mémoires sur la Campagne de 1813, par le Général Jomini: à Leipsic, 1813. Auch in der deutschen Uebersetzung zu haben. -- Beide im Verlage der Expedition der deutschen Blätter und in allen deutschen Buchhandlungen zu erhalten. (Preis 3 gGr.)

Wir schreiben aus diesem Auszuge nur den Schluß ab, weil er in diesem Augenblicke das allgemeinste Interesse haben muß, und weil wir wünschen, daß er bis zum Rütli und Tells Platen ertönen möge: "möchten vor allem meine schweizerischen Landsleute meinem Entschluß ihren Beifall geben, und darin einen Beweis meiner Liebe für den wahren Ruhm meines Vaterlandes finden! Wenn ich für einen Augenblick glaubte, das Schicksal sey an das von Napoleon geknüpft, so geschah es, weil er damals der Held der Welt war; jetzt, da er ihr Unterdrücker ist, müssen sie seine Sache verlassen, wie ich den Muth hatte, zu thun. Jetzt ist der Augenblick, zu den Waffen zu eilen, und für Jahrhunderte den Grundstein zum Glück und Ruhm der Völker zu legen. Frankreich selbst sollte diesem Beispiel folgen; denn es ist nicht das französische Volk, welches die Alliirten bekämpfen; nur ihn, den einzigen Feind des ganzen menschlichen Geschlechts, bekämpfen sie, und über den hat keine andere Nation sich mehr zu beklagen, als die französische selbst. "Der jetzige Krieg ist ein wahrer Kreuzzug gegen die Unterdrückung."

Miszellen.

Der übergetretene franz. General Jomini hat in Leipzig aus seinen handschriftlichen Memoires einen Auszug drucken und verbreiten lassen. Wir erfahren aus demselben die Ursachen des Abfalls dieses Generals. Er legte nämlich nach dem Tilsiter Frieden dem Kaiser Napoleon einen Aufsatz vor, worin er darzuthun suchte, daß das Haus Brandenburg Frankreichs natürlicher Alliirter, und eine Schutzwehr gegen künftige Einfälle nordischer Völker sei, die Wiederaufrichtung von Polen dagegen einen ganz entgegengesetzten Erfolg haben, und Frankreich in ewige Kriege, entfernt von seinen Gränzen, verwickeln werde. Dieser Aufsatz hatte, wie der Verf. meint, die Entfernung von der Person des Kaisers zur Folge, bei dem er bisher die Stelle eines Generaladjutanten bekleidet hatte. Im J. 1810 zog sich der General Jomini auch die Mißgunst des Fürsten von Neufchatel zu, weshalb er, nach der Schweiz zurück gehend, um seine Dimission nachsuchte. Allein statt derselben erhielt er Befehl, sogleich nach Paris zurück zu kehren. Jomini war es längst müde, der Eroberungssucht zu dienen, und wäre Napoleon damahls nicht mit allen Mächten des festen Landes im Frieden gewesen, so hätte er seinen Entschluß schon damahls ausgeführt. Er theilte das Unglück des Spätjahrs 1812, und begann auch den diesjährigen unter des Kaisers Fahnen mit solcher Auszeichnung, daß Marsch. Ney ihn für den Posten eines Divisionsgenerals in Vorschlag brachte. Allein, er blieb Brigadegeneral. Diese beleidigende Zurücksetzung gab ihm endlich den längst erwünschten Anlaß, sich aus Frankreichs Diensten zu entfernen. Jomini hoft, seinem Vaterlande, der Schweiz, werden eben so wie ihm, die Augen über den angeblichen Befreier der Welt aufgegangen seyn, und er fodert seine Landsleute auf, schleunigst die Waffen gegen den allgemeinen Feind Europa's zu ergreifen.


Quellen und Literatur.

  • Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  • Deutsche Blätter Herausgegeben von Friedr. Arn. Brockhaus. Zweiter Band, Leipzig und Altenburg, 1814.
  • Kritische und militairische geschichte der Feldzüge Friederich des Zweiten, verglichen mit denen des Kaisers Napoleon und dem neuen Systeme. Tübingen, J.G. Rotta'schen, Buchhandlung, 1812.
  • Auszug aus den Memoiren über den Feldzug von 1813. Leipzig, 1813.
  • Erinnerungsblätter für gebildete Leser aus allen Ständen. Jahrgang 1813. Zwickau, im Verlage der Gebrüder Schumann, 1814.
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