Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Advertisement

Michael Speransky.[]

[1]
Michael Speransky, der Sohn eines russischen Geistlichen und ein Mann von ausgezeichneten Talenten, schwang sich im russischen Staatsdienste schnell empor. Im Jahr 1803 war er Kanzley-Director, in dem Ministerium des Innern, welches damals der Graf Kotschuboy verwaltete. Hier fand er Gelegenheit seine Talente zu entwickeln und zu zeigen. Die Organisation der Ministerien und ihrer Eintheilung in Sectionen, war mit sein Werk. Der Jahresbericht des Ministeriums des Innern vom Jahre 1803, welcher in Storchs Rußland unter Alexander I. abgedruckt ist, und bei seiner Erscheinung, wegen der darin herrschenden Ordnung, Reichhaltigkeit und Liberalität der Grundsätze allenthalben bewundert wurde, ist aus seiner Feder geflossen.

Im Jahre 1807 wurde er Staats-Secretair. Dieses Amt brachte ihn in die Nähe des Monarchen, indem er den Vortrag bei ihm erhielt. Der Kaiser lernte seine Talente bald so schätzen, daß er ihm die wichtigsten Angelegenheiten vertraute, und es gab kaum je einem Staatssecretair in Rußland, der das Vertrauen des Kaisers in so hohem Grade genoß und so häufigen und unbedingten Zutritt zu dem Monarchen hatte, als Speransky in den Jahren 1808 - 1812.

Im Jahre 1809 erhielt er das Directorium der Gesetz-Commission, und mit diesem den Auftrag: der ganzen Administration des Reichs eine verbesserte Form zu geben. Speransky drang in die Ideen und Wünsche des Kaisers ein. Ein vollständiges System einer verbesserten Administration wurde von ihm entworfen und sollte nach und nach ausgeführt werden. Dieses sollte jedoch nur mit dem Rathe und unter der Autorität eines aus den einsichtsvollsten Großen des Reichs zusammengesetzten Reichsrathes ausgeführt werden. Dieser wurde daher vermittelst eines Ukases vom 1sten Januar 1810 zuerst geschaffen.

Speransky wurde bei diesem Collegio zum Reichs-Secretair ernannt, und hatte bei dessen Organisation als solcher allerdings eine solche Stellung erhalten, daß er sich mit seinen Talenten den größten Einfluß auf die Beschlüsse desselben erwerben konnte, denn er hatte den Vortrag der Propositionen in den Versammlungen sowohl den allgemeinen, als in denen der vorzüglichsten Sectionen (der Gesetzgebung und der Finanzen) des Reichsraths, und zugleich den Vortrag der Beschlüsse dieses Collegii bei dem Kaiser. Es war also natürlich, daß ein Mann von so lebendiger Beredsamkeit als Speransky, der fast allein das Ganze, was aufgeführt werden sollte begriff, allein alles durchdacht hatte und auf alles vorbereitet war, und dessen Ansichten mit denen des Kaisers lange Zeit harmonirten, in diesem doppelten Verhältnisse den entscheidendsten Einfluß auf den Gang der Angelegenheiten gewann. Auch ging im Anfange fast alles allein nach seinen Vorschlägen ohne Anstoß durch, da wenige unter den Reichsräthen genug speculative Fähigkeiten besaßen, um die Folgen allgemeiner Anordnungen einzusehen, oder es ihnen zu mühsam war, sie durch Nachdenken zu ergründen.

Schon am 25sten Jan. 1810 erschien ein Manifest, worin die neuen Einrichtungen in der Reichsverwaltung angekündigt wurden, die jedoch erst im Jahr 1811 (den 25sten Febr.) zur Ausführung gebracht wurden. Das Gesetz für die Organisation des Reichsraths erschien im Druck; das Ministerium als Gesammtheit, so wie die einzelnen Ministerien erhielten neue Organisationen, die nach und nach im Druck erschienen; eine ganz neue Function in der Stelle eines Reichs-Controlleurs wurde geschaffen. Von dieser Reichscontrolle erschien jedoch nur der erste Umriß, obgleich die Reichs-Controlleur-Stelle schon besetzt wurde. Eine ganz neue Organisation des Senats war ebenfalls entworfen und von dem Kaiser genehmigt; sie war bereits öffentlich im Druck erschienen, jedoch wurde deren Ausführung unerwartet suspendirt. Es war kein Geheimniß, daß Speransky der Verfasser aller dieser Ukasen und neuen Organisationen war. Während dieser Zeit hatte dieser thätigen Mann auch zugleich den ersten Theil des Civil-Gesetzbuches ausgearbeitet, und die Abtheilung des Reichsrathes für die Gesetzgebung hatte ihn approbirt, und dessen Druck als Project verordnet. Die Verbesserung der Finanzen und die dazu vorgeschlagenen Maaßregeln, besonders die Hemmung neuer Exmissionen von Bankoassignationen und die allmälige Einziehung der im Umlaufe befindlichen, welche die Ukasen vom Januar und September 1810 ankündigten, gingen gleichfalls von Speransky aus. Kurz man erstaunt über die Menge der Arbeiten, welche dieser Mann in einer Zeit von zwei Jahren (1810 u. 11.) vollbracht hat, und die allein von ihm offenkundig geworden sind, besonders wenn man dabei erwägt, daß er daneben noch täglich besondere Aufträge vom Kaiser erhielt, daß damals nichts von Wichtigkeit vorfiel, worüber er nicht befragt wurde, und was nicht durch seine Hände ging, und daß er dabei mit einer unendlichen Menge von Bittschriften, Anliegen, und Besuchen bestürmt wurde, die alle Zeit kosteten und oft Arbeit verursachten.

Das ein Mann, der einen so großen und vielumfassenden Wirkungskreis hatte, und in demselben einen solchen Einfluß auf die gesammte Staatsverwaltung übte; der zugleich bei dem Monarchen täglich Zutritt hatte und dessen unumschränktes Vertrauen genoß, viel Neider und Feinde bekam, wird, da es der gewöhnliche Gang der Dinge ist, Niemanden wundern, um so weniger, da er nicht von adelicher Geburt war, und keinen Schutz durch Connexionen mit vornehmen Familien genoß *). Alle Veränderungen in den Jahren 1810 bis zum März 1812 betrachteten die Russen als ein Werk Speransky's, obgleich alles im Namen des Reichsraths und durch denselben geschah. -- Es fehlte nicht an Personen, welche sich dazu brauchen ließen die neuen Einrichtungen als Neuerungen zu verschreien, und in ein nachtheiliges Licht zu stellen, welches vielen vornehmen Russen um so mehr gefiel, da ihnen vieles in den neuen Anordnungen höchst zuwider war, und insbesondere auch bald Zwistigkeiten, zwischen einigen Ministern und Speransky wegen der Ausführung der neuen Ordnung der Dinge entstanden. Die bittern Critiken trafen indirekt alle den muthmaßlichen Urheber der Neuerungen, und wurden künstlich bei Hofe eingeleitet. Sie blieben nicht ohne Wirkung, und das erste Merkzeichen von der Verminderung des Ansehens Speransky's war die schon angeführte Suspension der neuen Organisation des Senats im August 1811.

*) So wenig achten die Russen den geistlichen Stand, daß Priestersohn (Popowitsch) ein Schimpfname ist, wodurch sie ihre Verachtung gegen Emporkömmlinge aus dem Priesterstande ausdrücken.

Speransky's Gegner wurden nun immer muthiger und dreister; es liefen immer mehr schriftliche Critiken der Reformen und neuen Einrichtungen in den Händen der Großen herum, und drangen selbst ins Cabinet: besonders wurde die zur Hebung des Curses angeordnete aber in ihren Wirkungen mislungene Silberanleihe, die Organisation der Ministerien u. s. w. hart angegriffen. Man benutzte den Haß, der sich, nach der Veränderung in dem politischen Verhältnisse zu Frankreich, gegen alles Fremde entwickelte, um die getroffenen neuen Einrichtungen und Gesetzesvorschläge verhaßt zu machen, und gab sich viele Mühe, die Aehnlichkeiten in denselben mit den Napoleonischen Formen aufzusuchen, und darauf allerlei böse Andeutungen und Voraussetzungen zu gründen.

Indessen blieb Speransky in seiner Wirksamkeit, und erhielt noch am 1sten Jan. 1812 ein neues Zeichen der allerhöchsten Zufriedenheit und Gnade in dem Alexander-Newski-Orden. Er setzte seine fast täglichen Vorträge beim Kaiser fort, und ahnete durchaus nichts von der Gefahr die über ihm schwebte. In den letzten Tagen des März hatte er noch beim Kaiser Vortrag. Als er des Abends um 11 Uhr zu Hause kam, fand er den Polizeiminister Balaschew in seiner Wohnung, welcher ihm ankündigte, daß er auf Befehl des Kaisers deportirt werden sollte.

Dieses wurde noch in derselben Nacht ausgeführt. Nachdem seine Papiere versiegelt worden waren und ihm nur noch so viel Zeit vergönnt worden, an seine schlafende Tochter ein offnes Billet zum Abschiede zu schreiben, wurde er in eine Kibitke gepackt und von einem Polizei-Offizianten, mit der größten Schnelle nach Nischnei-Nowgorod (240 Meilen von St. Peterburg) geführt.

Wenige Tage nach dieser Abführung (den 9ten April) verließ der Kaiser St. Petersburg um sich zur Armee zu begeben. Die Regierung hat nie etwas über die Gründe zu diesem Verfahren bekannt gemacht. Im Publikum machte er großes Aufsehen. Der Pöbel schrie Hochverrath! -- Und der Beschuldigte -- konnte und durfte sich nicht vertheidigen. Von den besser Unterrichteten glaubte Niemand an ein solches Verbrechen. Auch ergab sich bald, daß Speransky's Verschickung nichts als eine polizeiliche Verweisung an einen bestimmten Ort war. Speransky behielt Rang und selbst Gehalt. Als sich die Franzosen Moskau näherten wurde er nach Prom geführt. Im Jahr 1815 erhielt er Erlaubniß auf seine Güter bei Nowgorod zu gehen, und es verbreitete sich das Gerücht bald, daß er wieder zu Ehren gelangen würde. In wiefern dies Gerücht Grund hatte zeigt der im August 1816 in der St. Petersburger-Zeitung publicirte Ukas, der seiner Merkwürdigkeit wegen, so weit er Speransky betrifft hier stehen mag. Er lautet also: "Vor Anfange des Krieges im Jahre 1812, eben als ich zur Armee abreisen wollte, wurden Umstände zu meiner Kenntniß gebracht, deren Wichtigkeit mich nöthigte, den Geheimen Rath Speransky -- -- vom Dienste zu entfernen; wozu ich zu jeder andern Zeit, ohne genaue Untersuchung, die bei den damaligen Umständen unmöglich war, mich nicht entschlossen haben würde. Nach meiner Rückkehr schritt ich zur aufmerksamen und strengen Untersuchung (seines) Betragens, habe aber keine hinreichenden Ursachen zur Verdacht gegen (ihn) -- gefunden. Da ich nun wünsche -- (ihm) -- Gelegenheit zu geben durch eifrigen Dienst, sich vollkommen zu reinigen: so ernenne ich hierdurch allergnädigst den Geheimen Rath Speransky zum Civil-Gouverneur zu Pensa -- -- xc. St. Petersburg den 30sten August 1816." -- Kurz darauf wurde in denselbigen Zeitungen bekannt gemacht, daß der Kaiser ihm 7000 Desjätinen (etwas über eine deutsche Quadr. Meile) Land geschenkt habe, und endlich ist er kürzlich zum General-Gouverneur von Sibirien ernannt. --


Zeitungsnachrichten.[]

[1812]

St. Petersburg, den 8ten Januar. [2]

Der Reichssekretär, Geheimerath Speranskji, ist Allergnädigst zum Ritter von St. Alexander-Neweskji-Orden ernannt.


Quellen.[]

  1. Zeitgenossen. XVII. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1820.
  2. Allgemeine deutsche Zeitung für Rußland. No. 19. Montag, den 22. Januar 1812.
Advertisement