Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Advertisement

Valencia.[]

[1]
Valencia, eine der Provinzen Spaniens, welche zur Krone Aragon gehört und zwischen dem mittelländischen Meere, Murcia, Cuença, Aragon und Cataluña belegen ist; ein herrliches Land von 38½ Q. Meilen, das als das gefeierte Eden Spaniens geschildert wird und sich unter dem schönsten Himmel Europens ausbreitet. Sein üppige fruchtbarer Boden, der die edelsten Producte Spaniens, besonders den herrlichen Alicantewein, Olivenöl, Südfrüchte, und unter diesen auch Datteln, Karuben, Aloe, Zuckerrohr, Waizen, Soda, Flachs und Hanf, Esparto u. s. w. in hoher Güte hervorbringt und Ueberfluß an den gewöhnlichen Hausthieren, Bienen, Seidenwürmern und allerlei Metallen und Mineralien hat, ist von seinen 830,000 Einwohnern auf das beste angebaut; nirgends in Spanien findet man so angenehme Huertas wie hier, nirgends ist die Kunst der Bewässerung so hoch getrieben. Sie ist zugleich nach Cataluña und Galicia die betriebsamste Provinz des Reichs, die eine ansehnliche Seiden-, Leinen- und Wollenweberei, starke Brennereien, Papier-, Esparto- und Zuckerfabriken, Töpfereien und Seifensiedereien unterhält. Alles, was sie an natürlichen und Kunsterzeugnissen zur Ausfuhr bringt, steigt auf den Werth von fast 17 Mill. Gulden. Uebrigens gehörte sie von Alters her zur Krone Aragon, war eine Zeit lang von den Mauren eingenommen, und hat zwar ihre Vorrechte 1814 verloren, doch aber noch ihr eignes Provinzialrecht und Audienz behalten. Die gleichnamige Hauptstadt liegt in einer höchst reizenden und fruchtbaren Huerta am Turia, ist ziemlich groß, gut gebaut und zählt 5290 Häuser und 80,000 Einwohner. Sie ist der Sitz des Generalcapitains von Valencia, eines Erzbischofs, einer königl. Audienz, einer Universität, einer Akademie der bildenden Künste und einer ökonomischen Societät. Die hiesigen Seidenzeug- und Strumpfwebereien beschäftigen 3618 Stühle und mehr als 22,000 Menschen; um die Stadt her stehen gegen 50 Papiermühlen.


Die Valencianer.[]

[2]
Es giebt kein Land in Europa, wo die Bewohner der verschiedenen Provinzen eine so verschiedene Denkart und einen so verschiedenen Charakter haben, als in Spanien.

Die Valencianer sind ein geistreiches und erfinderisches Volk; die Spanische Litterar- und Kunstgeschichte zählt eine Menge berühmter Valencianischer Namen auf. Sie sind äußerst thätig, und zu jeder Beschäftigung geschickt; der treffliche Ackerbau, die mannichfaltige Industrie beweisen es. Sie haben überdem ein entschiedenes Talent für alle Körperliche Uebungen, besonders aber für den Tanz, und liefern eine Menge Seiltänzer, Equilibristen u. dgl., die in ganz Spanien und Portugall, ja selbst in Italien und Frankreich herum ziehen. Der berühmte Eyertanz, der künstliche Stabtanz, wo jeder Tänzer, auch bei den mannichfaltigsten Bewegungen, den Takt auf dem Stabe des andern schlagen muß, die große Menschenpyramide, der Salto mortale darüber hin u. dgl., gehören Valencia als eigenthümliche Erfindungen an.

Die Valencianer sind ferner ein äußerst heiteres, fröhliches, vergnügungssüchtiges Völkchen, das Gesang und Musik, und alle sinnliche Zerstreuungen, worunter auch die Kirchen-Ceremonien gehören, mit Leidenschaft liebt. Sie sind zu gleicher Zeit sehr devot, ja sogar fanatisch, sobald es das Interesse ihrer Mönche und Geistlichen erfordert, die nirgend in so großem Ansehn stehen. Der Valencianer ist endlich lebhaft, witzig, zuvorkommend, gefällig, der beste Gesellschafter, den man sehen kann; aber zu gleicher Zeit auch eben so leichtsinnig, eben so unzuverlässig und veränderlich. In seinem beweglichen Charakter gränzen die sanfteste Freundlichkeit und die wildeste Grausamkeit sehr nahe an einander, und wechseln eben so schnell als unerwartet ab. Die geringste Beleidigung reizt die glühendste Rachsucht auf, der unbedeutendste Zwist veranlaßt einen blutigen Kampf. Daher die vielen Meuchelmorde und Todtschläge, wovon man jährlich im Durchschnitte wenigstens einen auf jeden Tag rechnen kann.

Was die Kleidung betrifft, so weicht sie von dem gewöhnlichen Spanischen Costume nur wenig ab; doch bekommt man große runde Hüte und weite schwere Tuchmäntel ungleich seltener zu sehen. Die Sprache ist die alte Langue d'Oc, und mit dem Catalonischen sehr nahe verwandt. Sie erhält indessen in dem Munde der Valencianer, und besonders des weiblichen Geschlechts, eine Sanftheit und einen Wohlklang, die man bei dem Catalonier gar sehr vermißt.


Ueber das Königreich Valencia.[]

[3]
Dieses Königreich muß unter die vornehmsten Gegenden von Europa gezählt werden; es übertrifft in Rücksicht der Fruchtbarkeit und des Ueberflusses der Lebensmittel die Küsten der Provence und Nizza; man zieht es wegen der Schönheit und der anmuthigen Kühlung seiner Schattenhaine und des minder feuchten Klima's dem Königreich Neapel vor. Zu Valencia kennt man weder die schwüle Hitze Andalusiens, noch die erstarrende Kälte des Nordens. Nie steigt der Thermometer daselbst über 20 Grade und fällt nie bis unter 3 herab. Vom Winter kennt man nur den Namen, und in einem Zeitraume von fünf Jahrhunderten sah der Valencier nur sehr selten Reif und Nebel. Der Himmel ist so fortdauernd heiter, daß die Nachtwächter zu Valencia, die die Stunden und den Zustand der Witterung ausrufen, den Zunamen Serenos (Heitere) bekamen, weil sie immer das nämliche Wort ausrufen müssen.

Das Innere der Stadt Valencia hat den Anblick einer Stadt der Mauren. Enge und unregelmäßige Gassen trennen Häuser, die niedrig aber tief mit großen Höfen und schönen Terrassen erbauet sind. Auf diesen Terrassen prangen der Orangen-, der Citronen- und Lorbeerbaum mit ihren unbeweglichen Blättern; da vermischen die schönsten Blumen ihre mannichfaltigen Farben im schwesterlichen Verein; alle Arten Früchte, die das mittägliche Klima erzeugt, pyramidenförmig sich erhebend, laden den Gaumen und den Geruch zum Genusse ein; die Gewölbe sind von den reichsten und glänzendsten Stoffen geziert; auf den Dächern der Häuser flattern, gleich Schiffsflaggen, unzählige Streifen von Seidenstoffen von allen erdenklichen Farben; die Straßen sind von Seidenwerkstühlen angefüllt; Alles arbeitet unter freyem Himmel; die Gesänge der Arbeiter und vorzüglich der schönen Arbeiterinnen mischen sich in das Geräusch der Spinnräder, in die Modulationen der Schellentrommel und der Orgeln, und in die Stimmen der Obstkrämerinnen.

Albufera ist ein großer Teich, oder vielmehr ein kleiner See, südwärts von Valencia. Da versammeln sich alle Liebhaber von geräuschvollen Vergnügungen; da stellt man allen Arten Wasservögeln nach, die in den Rohrbüschen, womit die Ufer bekränzt sind, sich aufhalten; es versammeln sich zu diesen Lustparteyen oft 300 Schiffchen. Der Fischfang ist sehr ergiebig; man fängt ausserordentlich große Aale daselbst. Die Erdzunge, welche Albufera vom Meere trennt, ist mit Rebhühnern und Kaninchen bevölkert, die unter den Weiden, Mastixbäumen und Seefichten herumirren. Auf der Landseite ist dieser unermeßliche Teich mit Reißfeldern umgeben.

Das schöne Geschlecht hat im Allgemeinen eine schlanken Wuchs und eine weisse Haut; es ist liebenswürdig, zuvorkommend, und zeigte oft mehr Festigkeit des Charakters als die Männer; allein die Herrschaft, deren die Weiber sich über diese anmaßen, macht sie gebieterisch und entschlossen. Die Liebe zum Putz und dem Luxus der Kleider treiben sie aufs Aeusserste; so elegant aber Letztere sind, so einfach sind die Männer in ihren Kleidern; doch erstreckt sich der Luxus nicht bis ins Innere der Häuser.

Hier folgen einige Charakterzüge, die man bey ihren Heirathen bemerkt: wenn zwey Familien einig sind, so begiebt sich der Bräutigam, in Begleitung einiger Freunde und eines Troubadours, während der Nacht vor das Haus seiner Geliebten. Der Troubadour singt eine Liebeserklärung; er erinnert an die ausharrende Beständigkeit des Liebenden, und bittet um Gegenliebe. Die Schöne erscheint an einem Fenster; Anfangs verwirft sie mit erkünstelter Schamhaftigkeit die Huldigung des Liebhabers; sie frägt ihn, wer er ist, wer seine Aeltern sind. Nun tritt er selbst hervor und deklamirt mit Feuer alle Gemeinsprüche unsrer Idyllen; er beschreibt, wie in der Natur Alles sich liebt, sich paart; er spart eben so wenig als der Troubadour die Anrufungen an die Nacht, an den Mond, an die Gestirne, noch die Vergleichungen mit dem liebenden Palmbaum, dem murmelnden Bache, der schachtenden Rose. Die Scene endigt damit, daß das Mädchen den Blumenkranz, als das Zeichen der Jungferschaft, vom Kopfe nimmt, und ihn ihrem Geliebten zuwirft, der ihn mit Entzücken aufrafft. In diesem Augenblick ertönen die Lüfte von einer reizenden Symphonie, die Fenster funkeln von Lichtern, die Thüre geht auf und die Aeltern der Braut empfangen den glücklichen Ueberwinder im Triumph. Die Hochzeit, welche bald auf die Verlobung folgt, wird ebenfalls durch dichterische Scenen verschönert. Die Troubadours stellen sich wieder ein; man verschwendet Blumen, die zu Valencia in allen Jahrszeit hervorsprossen. Um Mitternacht entreißt der Bräutigam, mit Hülfe seiner Freunde, die Braut nach vielem Sträuben den Händen ihrer treuen Gespielinnen, die sie gerne zurückhalten möchten; er aber trägt sie in seinen Armen weg. Das hochzeitliche Bett ist hier nicht in einem Zimmer, sondern auf dem flachen Dache, auf der Terrasse des Hauses, aufgeschlagen; Gebüsche von wohlriechenden Blumen wölben sich darüber her; die funkelnden Sterne beleuchten es, und der kosende Hauch der Zephire spielt in den Gardinen. Sobald der Tag anbricht, verläßt das verliebte Paar sein luftiges Lager, die Gäste versammeln sich aufs Neue zu einem Frühstück, und die jungen Mädchen überreichen ihrer ehemaligen Gespielin eine niedliche Wiege.

Die gesammte Volksmenge des Königreichs Valencia belief sich im Jahre 1795 auf 932,000 Seelen, worunter 1076 Adeliche, 5000 Mönche, 1700 Nonnen und bey 3000 Priester.

Dies ist die Beschaffenheit eines Königreichs, dessen glorreiche Eroberung man einer Armee von Tapfern verdankt, die von einem neuen Cid angeführt wurden, der sich durch seine Ergebenheit gegen seinen Souverän nicht minder, als durch seine Kriegsthaten, ausgezeichnet hat.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen. Herausgegeben von einer Gesellschaft von Gelehrten. Hamburg in der Hoffmannschen Buchhandlung. Jahrgang 1806.
  3. Allgemeine deutsche Zeitung für Rußland. No. 41. Freytag, den 16. Februar 1812.
Advertisement