Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Advertisement


Drey Routen von Hamburg nach Amsterdam.[]

[1]
Reiserouten durch Deutschland, 58) 59) 60)

1ste. 2te. 3te.
Meil. Stat. Meil. Stat. Meil. Stat.
2 Blankenese. Zum Kranz. Hornburg.
üb. die Elbe. 2 Hornburg. 2 Bremervörde.
zum Kranz. -- -- üb. d. Weser.
Buxtehude. 4 Kloster-Seven. 7 Elsfleth.
4 Kloster-Seven. 3 Ottersberg. Barnhorst.
3 Fischerhude. 3 Bremen. Großsander.
1 Oberneuland. Delmenhorst. Hesel.
1 Bremen. 4 Oldenburg. 2 Leer.
4 Wildeshausen. Großsander. Neuschanz.
3 Kloppenburg. Hesel. 3 Gröningen.
2 Löningen. 2 Leer. 2 Strohbusch.
2 Haselüne. Neuschanz *) 2 Dockum.
2 Lingen. Schemte. 2 Leuwarden.
2 Nordhorn. 3 Sudlar. 1 Franecker.
2 Ottmarsen. 3 Paylen. 1 Harlingen.
2 Ameloo. 2 Hardenburg. über den Zuy-
2 Holten. 4 Zwoll. der See.
2 Deventer. 2 Loo. 14 Amsterd.
2 Loo. 7 Amsterd.
2 Amersfort. wie Route 1.
Naarden.
Amsterd.
47 Meil. 57 Meil. 51½ Meil.
Nächster Weg. Sicherster Weg. Bequemster und wohl-
feilster Weg bey gutem Wetter.
*) Hier gehen die Treckschuyten an und werden die Koffers vissitirt.

Kurze Notizen.

Noch eine Tour über Ottersberg und Bremen führt über die Elbe nach Haarburg 1, Tostedt 3, Rotenburg 3, Ottersberg 2.

Amsterdam. Die umständliche Beschreibung der Stadt s. unter No. 28.


Erster Brief.[]

[2]
Bremen. Demarkationslinie. Bündnisse zwischen Republikaner und Despoten. Politische Radoterien. Holländische Gränze.

Neuschanz, den 20. Juny des 2ten Jahres der batavischen Freyheit.

Sie sehen, mein Bester! schon aus dem Postzeichen auf meinem Briefe, daß Deutschlands Gränzen hinter mir liegen, und daß ich von meinem Vaterlande, seinen dreyhundert Souverains, seinen Höfchen, seinen Demarkationslinien, seinen Reichsgerichten, und von allem, was es schönes dieser Art haben mag, getrennt bin. Leider! bin ich dies auch von Ihnen, und von den guten Menschen, die es enthält. Doch Trennungen sind ja einmal das traurige Loos der Menschheit, und Niemand kann dagegen kämpfen, am wenigsten ein armer Mensch meines Gleichen, der dem sonderbaren Eigensinn nachhängt, überall die Wahrheit zu sagen, und zum Lohn für diese Grille sich gefallen lassen mus, von allen denen, welchen die Wahrheit ein Gräuel ist, entweder festgesezt oder doch etwas parforce gejagt zu werden.

. . . . .

Doch, ich sehe so eben, daß ich Ihnen statt einer Reisebeschreibung, ein Stük meines Systems liefere, das weder aus Wolfs noch aus Kants Schule geschöpft ist, und eigentlich blos zu meinem Hausgebrauch dient. Allein, was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. Mir zur Lehre, zur Warnung, zur Besserung, zur Nachricht, zur Erinnerung.

Nun aber zur Reise selbst! Wind und Wetter schienen sich gegen mich wieder einmal verschworen zu haben. So schön es bei meiner Abfahrt von Hamburg war, so kam ich doch schon beregnet zu Haarburg an, muste zu meinem warmen Ueberrok meine Zuflucht nehmen, und werde ihn von nun an bis Amsterdam schwerlich entbehren können. Den 17. Julius des Morgens lag der reif deutlich des Morgens auf dem Grase, und in der Nacht hatten wir eine Art Schnee. Scheint es doch fast, als ob sich in unsere Atmosphäre auch etwas Terrorism eingeschlichen hätte! Inzwischen führte mir das Glük erträgliche Reisegesellschaften zu. Es waren Franzosen und Brabanter, ja im Anfange auch ein paar Türken, die sich aber schon in Haarburg von uns trennten. Zwei Stationen hinter Haarburg nahmen wir Extrapost, allein wir waren nicht um ein Haar besser dran. Abscheulicher als in dieser Gegend Deutschlands, können die Postanstalten, die Gasthöfe und die Pferde nirgends beschaffen sein. Wir erhielten erst einen schweren Postwagen, dann eine Art von Desobligeante, die sehr viel Aehnlichkeit mit den Karren hatte, deren sich die Schäfer im südlichen Deutschland zu bedienen pflegen. In den Wirthshäusern lagen Zigeuner, wir musten mehr bezahlen, als im ersten Gasthofe in Hamburg, und erhielten Biersuppen, in deren ein Chymiker den Bleizucker deutlich hätte erkennen können, Koffee der wie Thee aussah, Fleisch, das wohl vor 4 Wochen ebenfalls als Ragout paradirt, und Pferde, die in einem Kavallerie-Regiment der Reichsarmee an ihrer rechten Stelle gewesen sein möchten. Die Extrapost ging nicht im einen Schritt geschwinder, als der Postwagen, und wir musten dafür ehrlich bezahlen, ohne daß man uns nur einmal würdigte, zu detailliren, wofür das alles sein solle. Ich habe im Jahr 1795 in der Mitte des Dezembers die hannöverische Haide durchreiset, und es dort nicht viel unbequemer gefunden, als vor Hamburg bis an die holländische Gränze -- das will viel sagen! Ich fluchte, ein Brabanter betete, und ein Franzose sang.

Wann wird man denn einmal darauf denken, im nördlichen Deutschland wenigstens einigermassen für die Bequemlichkeit der Reisenden zu sorgen? die dortigen Postanstalten sind weiter nichts, als eine Plünderung der Fremden, eine indirekte Auflage. Auf den spanischen Postwagen steht, wie ich irgendwo gelesen habe, Sicherheit, Bequemlichkeit und Geschwindigkeit. Die Deutschen scheinen sich's zum Gesez gemacht zu haben, nichts von allen dem zu leisten. Die Briefe, stiehlt man uns, aufs Gepäkke müssen wir selbst Achtung geben, das ist unsre Sicherheit, -- auf die Wägen wird man gerädert, und im Hannöverischen findet man nicht einmal in den härtesten Wintern in den Posthäusern ein gewärmtes Zimmer, -- das ist unsre Bequemlichkeit -- und man fährt gerade so lange an einer Meile, daß ein geübter Fusgänger eine halbe Stunde früher ankömt, -- das ist unsre Geschwindigkeit. Die Posten in Deutschland sind wahrlich! in ihrer Art so lahm, als die Reichsarmee oder die Reichskonstitution. Und dennoch existiren an den meisten Orten Gesezze, vermöge deren man sich keiner besseren Gelegenheit bedienen kann, ohne eine Strafe oder eine starke Abgabe zu zahlen. –

Bremen hat mir, so viel ich von der kurzen Zeit meines Aufenthalts sagen kann, sehr wohl gefallen. Die Einwohner schienen eine gewisse Treuherzigkeit mit reichsstädtischem Selbstgefühl und einer gutherzigen Offenheit zu verbinden. Wie unendlich bedauerte ich, Grosmann und Kniggen nicht mehr besuchen zu können, zumal den leztern. Es gehöret unter meine innigsten Wünsche, diesen so sehr von dem Tros der Schurken und Narren gemishandelten Mann persönlich kennen zu lernen. Wir hatten uns auch beide in der Mitte des Julius eine Zusammenkunft versprochen. Allein die unseelige Partheiwuth in Deutschland hat ihm das Leben so sehr verbittert, daß seine, durch Krankheiten und Kränkungen erschöpfte Natur endlich unterlag. Nun mus ja wohl nach der Theorie dieser Leute die fränkische Republik zusammenstürzen, deren Schöpfer und Stifter, wenn man den Eudämonisten glaubt, niemand als Philo und sein längstauseinandergesprengter Illuminaten-Orden waren.

Ich glaubte hier die Bestandtheile der berühmten Demarkationslinie zu finden, mittelst welcher Sr. Königl. Preussische Majestät gegen baare Bezahlung dem nördlichen Deutschland ihren Schuz angedeihen lassen werden. Ich fand aber keinen Mann, und auch noch keine Anstalten dazu. Hingegen lagen einige holländische  Li-Devalete hier auf der Lauer, und versicherten laut, daß nächstens die batavische Republik in Stükken zerfallen, und sie in ihrer ganzen Glorie zurükgeführt werden würden.

. . . . .

Doch, ich denke so eben, daß ich heute eine grosse Lust zum Prophezeihen habe, und das ist in unsern Tagen ein sehr unglükliches Handwerk. So oft ich mich bisher damit abgab, habe ich Kassanderns Schiksal erfahren. Also lieber weiter in meiner Reise, die, wenn es so fortgeht, endlich fast so buntschekkig, als unsers ehrlichen Cramers: menschliches Leben aussehn möchte.

Die Reise durch Westphalen hat so wenig Angenehmes, als die Tour von Bremen nach Hamburg. Kühe, Pferde, Schweine, Hüner, Gänse, Hunde, Menschen -- alle diese verschiedenen Thiere leben hier in einer wahren revolutionairen Verfassung untereinander, und, wenn diese gesellschaftliche Vereinigung gestört wird, so sind vermuthlich immer die Menschen daran schuld. Während man den Reisenden die magre Suppe bereitet, beriecht das Pferd das Brod, versucht das Schwein das Wasser, und verbrennen sich die Hüner am Feuer. Die Erde besteht aus Moder und Haydekraut.

Um so angenehmer wird man durch das niedliche, freundliche Städtchen Oldenburg überrascht. Vielleicht ist es Täuschung, und blos Würkung des Anbliks einer artigen Stadt in einer Wüste, aber mir kam es vor, als ob die Leute hier alle fröhlig und gutherzig wären. Jeder kennt sich, jeder grüst sich. Der Fürst wird sehr gerühmt, und man sieht es dem Ländchen auch wohl an, daß er kein böser und kein unwissender Mann sein kann. O was könnten diese kleine Fürsten für glükliche Erdensöhue sein, wenn sie nur wollten! Ich hatte genau so viel Zeit, einen alten akademischen Freund Herrn Advokaten Gamberg auf einen Augenblik zu besuchen. Ach Gott! wie reich an Erfahrungen muste ich wider Willen seit der Zeit werden, da wir uns nicht gesehen hatten! Was möchte ich darum geben, wenn ich wieder Knabe, wenn ich ein Kind werden könnte.

Von Oldenburg nach Leer schütteten sich alle Wolken über unsern Wagen aus. Mitten im Regen lies sich auf der öden Haide eine Nachtigall hören, die vermuthlich auch wider ihren Willen hieher verschlagen sein mochte. Cela passe pour chanter, meinte mein Franzose, mais je voudrais bien jurer, qu'elle peste!

In Leer beklagte man uns, daß wir durch Holland reisen müsten. Man rieth uns, ja blos auf Trekschuyten zu gehn, und wo keine gleich abgingen, liegen zu bleiben, bis welche ankämen, denn Pferde sein gar nicht zu haben. Auch würden wir alles entsezlich theuer finden. Alles Vieh sei in Requisition gesezt, und die Einquartierungen fielen dem Holländern gar zur Last xc. Hier sahen wir auch, bei der Ueberfahrt über die Ems, eine Reliquie aus Dumouriers Zeiten -- eine sehr zerschosseue Windmühle, welcher eine französische Batterie sehr übel mitgespielt hatte.

Und nun flogen wir, zum erstenmal auf unserer Reise mit raschen Pferden bis nach Neuschanz, einem kleinen holländischen Fort an der preussischen Gränze, wo wir (ebenfalls zum erstenmal auf der ganzen Reise) von einem republikanischen Officier nach unsern Pässen gefragt wurden. Die Nationalkokarde prangte flugs auf meinem Hute, und nach meiner guten Abendmahlzeit, wobei wir sehr artige Offiziere zur Tischgesellschaft hatten, sezte ich mich nieder, um Ihnen schnell Nachricht zu geben, daß Deutschlands Gränzen schon hinter mir liegen. So schwand mir erst Franken, dann Sachsen, dann das freundliche Altona, und nun endlich aus Deutschland aus den Augen! Wohl mir, wenn ich glüklicher in meinem neuen Vaterlande, lebe!

Doch ich denke eben daran, daß ich Morgen eine starke Reise vor mir habe, und Schlaf brauche, welchen ich schon eine Nacht entbehrt habe. Leben sie also wohl! Aus Gröningen, oder wenigstens gewis aus Amsterdam mehr!

N**.


Zweyter Brief.[]

Trekschuyte. Neuschanz. Gröningen.

Amsterdam, den 22. Juny 1796.

Neuschanz, mein Theuerster! ist eine sehr reinliche, und zugleich die kleinste Stadt, die ich je gesehen habe, denn sie hat gerade (um Ihnen eine Bemerkung à la Hübner oder Zopf mitzutheilen,) 246 Schritte in ihrer grösten Länge, und in zehn Minuten bin ich ringsherum gegangen. Hier habe ich denn auch den ersten Freiheitsbaum gesehen. Es hat folgende Inschrift:

Abattu par les mains de l' afreux despotisme,
Je me vois relevé par le patriotisme,
-- -- -- -- -- -- --

Der Rest ist, wie ich bin gewahr worden, in meiner Schreibtafel verwischt, sie sehen aber wohl schon aus diesem Fragment, daß Sie eben nicht viel dabey verlieren.

Dieser Freiheitsbaum ist leider! das einzige Patriotische, was ich in Neuschanz erblikt habe, einen Kerl ausgenommen, der eine Nationalkokarde aufgestekt hatte, übrigens aber so aussah, als on er ihrer am allerwenigsten würdig wäre. Ein Offizier (itzt Adjutant bey General Dumonceau) der die Güte hatte, mich auf meinem Spaziergange zu begleiten, konnte mir nicht genug erzählen, wie verdorben hier der Volksgeist sey, und wie unendlich viel Gleichgültigkeit gegen die Sache der Freyheit hier herrsche. Und das sah man denn den dikken, fühllosen Gesichtern, ohne Charakter und Leben auch leicht an.

Die holländischen Jäger, die hier liegen, sind hübsche Leute, aber sie taugen eben so wenig als die Bürger. Ohngeachtet sie hier besser bezahlt werden, als irgendwo, ohngeachtet man sie aufs beste behandelt, so lassen sie sich doch von den an der Gränze herumschleichenden Emissarien beschwazzen, und laufen zu drei und vier davon. In einem Monate sind 70 Mann desertirt. Dies ist um so sonderbarer, da sie durchaus keinen Grund, als eine dumme Anhänglichkeit ans alte System haben. Pfuy! über die Menschen!

Die holländischen Ausgewanderten liegen Gift und Galle im Herzen, trotz aller Verbote auf den benachbarten Dörfern, und wagen es nicht selten, nationale Offiziere, welche sie in der Uniform ihres Vaterlands erblikken, meuchelmörderisch anzufallen. Dis geht so weit, daß General Bournonville allen Offiziers befohlen hat, keinen Schritt über die Gränze zu thun; um der Art von kleinem Krieg der hier herrscht, Einhalt zu thun. Eben, als wir spaziren gingen, schlich ein sehr verdächtiges Subjekt auf dem Markte umher, betrachtete bald höhnisch den Freiheitsbaum, bald lies er sich mit den Posten in Gespräch ein. Da aber die Zeit vorbei ist, wo man Verdächtige arretirt, und der Herr von Urian klug genug war, bei Tusche mäuschenstille zu schweigen, und höchstens höhnisch zu lächeln; so war es unmöglich, ihm näher zu kommen. Diese Art Menschen schreit immer über die Strenge der Republikaner, und wahrlich! sie thut alles, um eine Art von Schrekkenssystem herbeizuführen, und nothwendig zu machen. Sie misbraucht so lange die Mässigung, und die halben Maasregeln, welche izt an der Tagesordnung sind, bis endlich wieder nothgedrungne Strenge eintritt. Mein Leben will ich darauf wetten, daß man diesem Kerl nicht Unrecht gethan hätte, wenn man ihn gleich beim Kopf genommen haben möchte; aber ich bin billig genug einzusehen, daß man auf meine Physiognomik keinen peinlichen Prozes bauen kann. Ehedem sah man überall Agenten von Pitt, wer jezt davon spricht, daß man auf ein zweideutiges Wesen Acht geben solle, wird für einen Terroristen angesehen, und gerade die Herren, gegen die etwas Terroristm gut wäre, schreien am lautesten. Nur Geduld! Man will ja durchaus nicht in der Mitte bleiben, sondern von Extremen zu Extremen springen.

Wir fuhren von nun an auf der Treckschuyte -- die bequemste, und aus lauter Bequemlichkeit, wenn es lange währt, etwas langweilige Art zu reisen. Man mus aber, wenn man à son aise sein will, Sorge tragen, die Kajüte, oder, wie es hier genannte wird, das Roof, zu miethen. Da merkt man denn gleich, daß man nicht in Deutschland reist! Man ist wie auf der reinlichsten Stube, hat eine bequeme gepolsterte Bank, ein nettes Tischgen, und fühlt die Bewegung des Fahrens nicht. Bei dieser Gelegenheit hatten wir ein lustiges Misverständnis. Ein fränkischer Officier wollte zu uns in die Kajüte, der Schiffer bedeutete ihm, daß dies nicht angehe, weil das Roof verhaurt (oder vermiethet) sei, und der Officier glaubte, dies heisse: es seie Mädchen von zweideutigem Ruf darin. Tant mieux! meinte er also; endlich wurde er böse, daß der Schiffer für seine Keuschheit auf Kosten der Bequemlichkeit ungebetne Sorge tragen wolle. Wir machten dem lächerlichen Streit ein Ende, indem wir den Officier baten, sich unsrer Kajüte nach Gefallen zu bedienen.

Dies reuete uns um so weniger, da der Officier noch die Bataille bei Millesimo mit gemacht hatte, und Geschäfte halber nach Frankreich und Holland gereißt war. Er erzählte mir unter andern, daß einige österreichische zur französischen Armee geschikte Officiere einst gerade dazu gekommen seyn, als General Buonaparte mit seinen beiden Adjutanten, Arm in Arm, hüpfend aus einem Hause gekommen sei. Sie hätten sich nicht undeutlich merken lassen, daß sie mit diesem jungen muntern Mann und mit seiner, damals an Allem Noth leidenden Armee, eben nicht viel Wesens machen würden. Aber die Götter hatten es anders beschlossen, und dieser junge muntere General jagte die krieggewohnten Oesterreicher, von deren Tapferkeit übrigens jeder fränkische Officier und Soldat mit ausserordentlicher Achtung spricht. Ich erinnerte mich bei dieser Gelegenheit daran, wie einige Emigrirte in Hamburg sich darüber lustig machten, daß die italiänische Armee einem jeune roturier, tout à fait inconnu, à un certain Bona - Bonacartés - Bonapart -- enfin, c'est un homme obscur, un homme du nèant -- anvertrauet sei. Jezt werden sie wahrscheinlich diesen General ganz genau kennen; sein Name wird ihnen viel geläufiger geworden sein, und die Franken können mit Recht singen:

Devant nous, antique Italie,
applanis les monts orgueilleux!
Tremble à l'aspect de nos cohortes.
Marchans tous un nouveau Brennus
bientôt du temple de Janus
les Français vont fermer les portes.

Sehr angenehm wurden wir überrascht, da wir keine Spur entdekten, daß in diesen Gegenden Krieg, oder eine Revolution gewesen sei. Man fährt immer zwischen friedlichen Dörfern, Wiesen, wie man sie kaum in der holsteinischen Marschgegend trift, und Lusthäusern hin. Die Weiden sind voll der schönsten Pferde und der fettesten Kühe. An den Ufern der Kanäle ist ein unaufhörliches Gehen, und Treiben. Alles athmet Wohlstand, Reinlichkeit und Ueberflus. Die holländischen Bauern fahren mit ihren Weibern in kleinen Kutschen zu Markte. Eine solche niederländische Landschaft hat doch warlich! auch ihre grossen Reize, und überrascht beim ersten Anblik. Freilich fühlt man nicht das, was man beim Anblik der Alpen, des Rheinufers, oder der Harzgegenden empfindet, aber diese reinliche, reichen beinahe immer fortwährenden Dörfer, diese ungeheuren Heerden wohlgenährten Viehes, diese Lusthäuser und diese Kanäle gleichen einem grossen Garten und geben das Bild der Ruhe. Erinnert man sich dabei noch daran, daß dies ganze Land dem Meere durch Mühe und Fleis abgedrungen ist; daß diese Weiden und Gärten einst nur Morast und Sumpf waren; daß dies friedliche fleissige Volk unter dem Druk Albas und der Inquisition schmachtete, siebenzig Jahre lang für seine Freiheit focht, und sie so lange erhielt, bis das treulose Haus Oranien sie den Preussen und dem schändlichen Pitt verkaufte; so empfindet man einen sanften Enthusiasm, der durch die auf allen Seiten hoch hervorragenden Freiheitsbäume, das einzige, was nebst der Nationalkokarde der Vorübergehenden dem Reisenden an die Revolution erinnert, noch erhöht wird.

Ich wiederhole es, keine Spur ist hier zu sehn, daß in diesen Gegenden der Friede je gestört worden sei. Näher bei Gröningen lagen jedoch am Ufer starke Artilleriezüge, welche an die Gränzen, und für ein Lager bestimmt waren, das sich einige Stunden von Gröningen zusammenziehen sollte. In Windschoten, wo wir ein Mittagsmahl einnahmen, sah schon alles patriotischer aus, als in Neuschanz. Vor dem Fenster des Wirthshauses war der Baum der Freiheit gepflanzt, und ein dikker freundlicher Wirth, der, wie es schien, Maire war, begrüste und zum erstenmal mit dem theuren Titel: Bürger. Auf den Strassen hörte man den Marseillermarsch.

Gröningen ist eine sehr niedliche Stadt; die vielen vor der Stadt gelegnen Lusthäuser und die majestätischen Linden und Kastanien auf den hohen Wall geben bei der Einfahrt einen allerliebsten Anblik. Hier bekam ich einen hohen Begrif von der holländischen Reinlichkeit im ganzen Umfang des Worts. Es hatte ziemlich geregnet, dennoch waren die Strassen und die schön gebaueten Brükken so, daß ich mit gröstem Appetit von der Erde hätte essen mögen. Ueberhaupt hat man von dieser Nettigkeit des Pflasters und der Strassen in Deutschland keinen Begrif. Im Gasthof war unser Zimmer mit einer feinen Fustapete belegt, artig ausgemahlt, und der Kamin von Marmor, Rost und Feuerzange von feinem Stahl. Alles ist so nett, daß man wahrhaftig! kaum sich niederzuse zen getraut. Verläst man einen Augenblik das Zimmer, so ist schon wieder die Magd da, und reinigt den Fusboden von den Stäubchen, die allenfalls darauf gefallen sein könnten. Die berühmten Spuknäpfchen der Holländer wurden uns hier zum erstenmal beim Essen auf den Tisch gesezt, eine Sitte, die mir gar nicht gefallen will.

Es blieb mir Zeit, einen kleinen Spaziergang in der Stadt und um die Wälle zu machen, eh unser Abendessen bereit war. Ein Officier von der batavischen Legion hatte die Güte, mich zu begleiten. Gröningen ist wirklich keine unbedeutende Vestung. Die Ueberschwemmungen, die man auf eine halbe Stunde weit veranstalten kann, machen sie unzugänglich, und die Werke sind alle in gutem Stande. Hier ist schon alles viel patriotischer, als an der Ostfrisischen Gränze. Ich sah mit Vergnügen kleine Jungen mit Kokarden geschmükt auf dem Walle exerzieren. Die holländische National-Garde mit Stuzperücken sieht denn aber doch etwas drollicht aus.

Hier ist auch eine Universität, von der ich aber nichts weiter gemerkt habe. Ich besuchte auf einem Augenblik einen Buchladen, der die Ueberschrift führte: Bookwinkel van Zuidema. Der Herr Prinzipal wuste kein Wort von deutscher Litteratur. Wohl aber fand ich Kniggens sämmtlichen Schriften und eine Menge deutscher Produkte, unter denen aber leider sehr viele erbärmliche Romane waren, in holländischen Uebersezzungen.

Sehr leid that es mir, daß heute gerade kein Schauspiel war. Auf den nächsten Tag waren die Indianer in England von Kotzebue angekündigt. Ich hätte wohl eine holländische Gurli sehn mögen! Uebrigens sind die Kotzebueschen Stükke in Holland alle übersezt, und eben so wohl an der Ordnung des Tages, als in Deutschland. Immer heist es: aus dem Hochteutschen von dem vermaarden (berühmten) Kotzebue. Nach dem Schauspiel ist gemeiniglich ein Hornpip oder ein nationales Ballet angekündigt.

Inzwischen haben die Bataver auch Nationalstükke, hauptsächlich wird Ohldenbarneveld sehr oft gegeben. Mein Begleiter erzählte mir, daß man gestern die Stelle! "lieber frei sterben, als Sklave des Hauses Oranien sein," mit allgemeinem Klatschen zum grösten Verdrusse vieler sich hier herumtreibenden preussischen Officiere im Parterre gleich wiederholt habe.

Nachdem ich ausserordentlich gut gespeist und noch besser geschlafen hatte, erfuhr ich zu meinem grösten Leidwesen, daß ich entweder Extrapost nehmen, oder noch einen Tag warte oder aber zu Schiffe weiter gehen müsse. Ich wählte das leztere, weil ich hörte, daß ich sechs bis acht bisher Krankheitshalber im Spital zu Gröningen zurükgebliebene fränkische Officiere zur Gesellschaft haben würde, und man mir von der ausnehmenden Theurung und Prellerei in den holländischen Gasthöfen eine gar schlimme Beschreibung gemacht hatte.

Diese leztere Furcht war aber vollkommen ungegründet. So gut wir bedient worden waren, so billig war die Zeche. Für zwei ausserordentlich reichliche Mahlzeiten mit Wein, für Logis, Koffee xc. bezahlten wir zwei Personen die Kleinigkeit von einem holländischen Dukaten. Ich empfehle jedem Reisenden, der in Gröningen übernachtet, den Gasthof zur Stadt Hamburg mit gutem Gewissen.

Nie würde ich mich zur Schiffreise entschlossen haben, wenn ich mir vorgestellt hätte, daß sie mit so vielen Unbequemlichkeiten verbunden sein könnte. Die Treckschuyten hören zu Strohbusch auf, und von da bis Lemmer geht es über lauter Seen und breite Kanäle. Wir hatten ausserordentlich heftigen kontrairen Wind, und kamen erst des andern Tage um 8 Uhr gegen Abend in Lemmer an, wo wir uns bei eben so starkem Winde um halb eilf Uhr auf das Pakketboot begaben, um die Fahrt über die Züyder See nach Amsterdam zu vollenden. Ohnerachtet unser Schif sehr gut war, so war der Sturm doch so unhöflich, uns alle (selbst einen Franzosen, der doch fast sein ganzes Leben auf der See zugebracht hatte) etwas seekrank zu machen. Ich war noch der einzige, der gesund blieb, bis ich mich überreden lies, einige Tassen Koffee zu trinken, der noch dazu hochdeutscher Koffee sein sollte! So ein Getränke ist mir noch nicht vorgekommen! Ich glaube, daß man 24 Tassen aus einem Lothe gebrauet hatte.

So einnehmend würklich der Anblik einer sanften holländischen Landschaft anfänglich ist, so ist er doch auf die Länge etwas einförmig. Es bleibt doch ewig wahr, daß nur die ungekünstelte Natur nicht ermüdet. Hier, wo Dorf an Dorf, Kanal an Kanal, Allee an Allee stöst, wo die Wege am Ufer nie von Menschen leer werden, und sorgfältig mit kleinen zerstossenen Muscheln bestreut sind, verräth alles die Spur von Menschenhänden. Alles ist wie gezäumt, wie gedämmt, zusammengetragen. Umsonst sucht das Auge nach einem Berge, nach einem Strome, selbst das Wasser fliest in geraden Linien. Alles ist ekkicht, und in Vierekken und Dreiekken abgetheilt, alles platt, so daß man sich wider Willen wünscht, hier eine Schlacht zu sehen. Daher fühlt man sich freier, wenn man bei Lemmer die See erblikt, die rauschend gegen die Dämme tobt, und ihren Schaum gegen den Leuchtthurm sprüzt, der gleichsam trozzig des Meeres zu spotten scheint.

Inzwischen hätte ich nicht leicht eine interessantere Gesellschaft finden können, als meine Officiere waren. Wir haben im eigentlichen Verstande fraternisirt, unsere Lebensmittel getheilt, und während Wind und See um uns tobten, auf dem Verdek und (wenn es zu arg wurde) in der Kajüte die erhabne Freiheitshymne angestimmt. Es waren lauter Eroberer von Holland, und alle hatten viel und schwer gelitten. Der eine, ein Kapitain, hatte noch seit jenem kalten Januar das Fieber, und eilte nun nach dem wärmeren Frankreich, weil er in dem feuchten Holland nicht erwarten konnte, gänzlich wiederhergestellt zu werden.

. . . . .

Doch ich merke, daß mein Brief zu lang wird, um Ihnen noch etwas von Amsterdam sagen zu können. Ich habe, da Sie das schon aus dem Datum ersehn können, nicht nöthig, Ihnen erst zu sagen, das ich die Zuydersee glüklich passirt habe, und hier im Waapen von Voorst ruhig sizze. Mein nächster Brief soll, das verspreche ich Ihnen, mehr Reisebemerkungen und weniger Raisonnements enthalten. Ihr

R**.


Quellen.[]

  1. Der Passagier auf der Reise in Deutschland und einigen angränzenden Ländern, vorzüglich in Hinsicht auf seine Belehrung, Bequemlichkeit und Sicherheit. Ein Reisehandbuch für Jedermann von Kriegsrath Reichard, aus Verfasser des Guide des voyageurs en Europe. Berlin, 1806. Bey den Gebrüdern Gädicke.
  2. Holland und Frankreich, in Briefen geschrieben auf einer Reise von der Niederelbe nach Paris im Jahr 1796 und dem fünften der französischen Republik von Georg Friedrich Rebmann. Paris und Kölln.
Advertisement