Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Scheveling.[]

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Scheveling, Schevening, Dorf mit 2833 Einwohn., in Holland, am Ufer des Meeres, eine halbe Meile von dem Haag. Die Natur hat hier durch die Dünen der Ueberschwemmung selbst ein Bollwerk gesezt, obgleich das Land tiefer als die See liegt. Doch ist nach und nach viel von den Dünen durch das Meer weggenommen worden.


*Collectie Haags Gemeentearchief


Von Reisende.[]

Ralph Fell.[]

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[1800]

Die Schevelinger Fischer und die Abfahrt der Häupter des Hauses Oranien von diesem Dorfe verleiteten mich zu einer Abschweifung vom Hauptgegenstande, zu dem ich jetzt mit Vergnügen wieder zurückkehre. Verschaffte sie Dir Unterhaltung oder Belehrung, so bedarf es keiner Apologie; that sie dies nicht, so sey mit meiner guten Absicht zufrieden, die, so weit meine beschränkten Kräfte es verstatteten, beides bezweckte.

Der Weg vom Haag nach Schevelingen wird von den Holländern so mit Recht gerühmt und als ein Gegenstand der Bewunderung den Fremden bezeichnet, dass ich einen gegründeten Tadel verdiente, versuchte ich nicht, ihn zu beschreiben. Die Länge dieser Allee beträgt beinahe zwei englische Meilen und ihre Breite ohngefähr zwanzig oder mehr Schritte. Sie ist nach einer schnurgeraden Linie angelegt, so dass man beim Eintritt das Ganze übersieht; zum Glück wird die Aussicht durch einen malerischen Gegenstand, nämlich durch die Schevelinger Kirche, beschränkt.

Auf beiden Seiten wird diese Allee von Buchen, Eichen und Linden von erstaunlicher Stärke beschattet, welche so dicht und mit solcher Geschicklichkeit gepflanzt sind, dass sie, ohne einander im Wege zu stehen, einen undurchdringlichen Wald zu bilden scheinen. Grosse Sorgfalt aber gewiss nicht mehr als er verdient, wird angewandt, um diesen prächtigen Hain vor Beschädigung und Beraubung zu schützen. Hier kann der zärtliche Liebhaber über seiner Leidenschaft brüten; aber er darf die Rinde eines Baums nicht durch Eingrabung der Anfangsbuchstaben des Namens seiner Geliebten verwunden, und der leichtfertige Knabe darf seine Behendigkeit im Klettern in diesem geheiligten Walde nicht üben. Wehe dem Unglücklichen, der hier beim Aufsammeln einiger reiser für seinen Heerd angetroffen wird; im Spinn= oder Zuchthause würde er dieses Vergehen büssen müssen.

In kleinen Entfernungen von einander sind hier wie in England Straf-Pfähle aufgepflanzt, und um die darauf geschriebenen Warnungen und Vorschriften auch dem Unwissendsten und des Lesens Unkundigen verständlich zu machen, so hat man daneben schlecht gemalte Bilder angebracht, welche die Geschichte der Übertretung und Bestrafung dieses Verbrechens an einem Knaben versinnlichen. Wahrscheinlich aber ist die Verehrung, welche die Holländer den Bäumen überhaupt und diesen wegen ihrer eigenthümlichen Schönheit insbesondre bezeugen, der beste Schutz dieses reizenden Waldes.

Das Verdienst der Anlage dieser Allee gebührt dem Constantin Huygens, dem Bruder des berühmten Mathematikers und Mechanikers gleiches Namens, und die ansehnlichsten Bäume sind beinahe anderthalbhundert Jahre alt. Der letzte Sturm hat hier die traurigsten Verwüstungen angerichtet. Man zählte sechs und funfzig schöne durch die Gewalt des Windes niedergerissene Bäume, und die unter den Zweigen und dem kleinen Gehölz angerichtete Verheerung stand damit in Verhältniss. Der mich begleitende Lohnbediente bedauerte, während er mich auf die Schönheiten des Weges aufmerksam machte, mit vielem Gefühl die Verwüstung des Sturms, und stiess bei jedem niedergestürzten ungewöhnlich starkem Baume einen tiefen Seufzer aus.

Der Ozean, der das Dorf Schevelingen bespühlt, wird durch Sandhügel dem Auge entzogen, bis man sich ihm in der Entfernung von dreissig bis vierzig Ellen nähert; dann aber entfaltet er sich dem Blick mit unbeschreiblicher Grösse und so sehr man auch von seiner Nähe unterrichtet ist, so bringt doch seine plötzliche Erscheinung eine unbeschreiblich erhabene Wirkung hervor. Das Ufer ist hier ausserordentlich anmuthig und bildet einen schönen, gegen sechs englische Meilen grossen Halbzirkel. An diesem Ufer wurde mit Stevin's berühmten fliegenden Wagen *) eine Probe angestellt, und ich zweifle, ob in ganz Europa eine Ebene anzutreffen ist, die sich dazu besser schickt.

Aus einem unverantwortlichen Vorurtheil der Holländer wird dieses Ufer, das, wenn es in irgend einem Theile Englands läge, einer weitläuftigen Stadt in seiner Nähe das Daseyn geben und jedes Jahr der Sammelplatz der üppigen und eleganten Welt so wie der Schwachen und Kränklichen seyn würde, vernachlässigt und von allen sorgfältig vermieden.

Die Holländer finden keinen Geschmack am Baden in Salzwasser; daher trifft man hier auch gar keine Maschinen zu dieser angenehmen und stärkenden Leibesübung an. Dieser Widerwillen gegen die Seeluft und das Seewasser ist nicht ein blosses Volksvorurtheil, sondern wird zugleich von den angesehensten hiesigen Ärzten unterstützt; und aus diesem Grunde erblickt man hier, so reizende Sommerhäuser auch mit der herrlichsten Aussicht nach der See an dieser Küste gebaut werden könnten, nicht eine einzige Villa oder Hütte, drei bis vier Häuser in Schevelingen ausgenommen, deren Fronte nach dem Meere geht. Das frische Ansehn der holländischen Fischer und ihre athletischen Glieder scheinen dieses nichtige Vorurtheil auf das deutlichste zu widerlegen; aber Leute, die eingewurzelten Meinungen heftig ergeben sind, übersehen Thatsachen und leben nur in Theorien.

Die offene Lage der Küste und der Mangel an Sandbänken, um die Gewalt der See zu brechen, macht es den Schiffen gefährlich, hier zu ankern; wenn daher die Fischer von ihrer Fahrt zurückkehren, so ziehen sie ihre Schiffe auf Rollen an's Ufer, weiter als die Fluth reicht. Auf diese Art erblickte man auf dem Sande über dreissig Böte von zwanzig bis fünf und zwanzig Tonnen; aber die Hälfte dieser Schiffe war abgetakelt und eine Menge Menschen war dadurch ausser Brod gekommen. Eine Heerde jammernder Bettler, meistens aus der Fischerklasse, umringte uns; ihre Blicke und Mienen bezeugten eine grosse Dürftigkeit. Einige bestrebten sich, durch Darbietungen einiger an die Küste geworfener Muscheln, andere durch laute Verkündigung ihrer Bedürfnisse, und alle durch traurige und niedergeschlagene Mienen, unser Mitleiden zu erregen.

Der Ruin der grossen Fischereien Holland's war die unvermeidliche Folge eines Kriegs mit Grossbrittannien. Da es aber in frühern Zeiten durch eine Übereinkunft beider Nazionen ihren Fischern verstattet war, ihr Gewerbe, ungestört in so weit es sich blos auf ihr eigenes und des Landes Bedürfniss beschränkte, zu treiben, so war es mir auffallend, wenige Seefische und viele unbeschäftigte Boote hier anzutreffen. Die Schuld davon trug die englische Regierung, die, gegen ihre Sitten in frühern Kriegen, den Holländern nicht erlaubt, in einer grössern Entfernung als fünf englische Meilen von ihrer eigenen Küste zu segeln. Diese Erlaubniss ist ohne allen Nutzen; denn die einigen Flecken der Nordsee, wo Fische in grosser Menge gefangen werden können, liegt jenseits der abgesteckten Grenzen, und wagt sich ein Fischer weiter, so läuft er Gefahr weggenommen zu werden, eine Gefahr, die sich, wegen der grossen Anzahl und Wachsamkeit unsrer an den holländischen Küsten segelnden Kreuzer, nur wenige aussetzen.


Dr. Johann Friedrich Droysen.[]

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[1801]

Antwerpen, den 6ten July 1801.

Eine zweyte, sehr interessante Promenade ist die nach Schevelingen, das eine gute Stunde vom Haag, hart am Strande der Nordsee liegt. Schevelingen ist ein bloßes Dorf, aber freylich ein Holländisches Dorf, das unsere kleinen Städte weit an Reinlichkeit und guter Bauart übertrifft, und größtentheils von Fischern bewohnt ist. Auf dem ganzen Wege dahin, der eine schöne Allee ist, begegneten uns eine Menge von Wagen mit Hunden bespannt, ein hier, so wie in den Niederlanden häufig gebrauchtes Fuhrwerk. Die Hunde scheinen eine Spielart von Jagdhunden und großen Schäferhunden zu seyn, werden zu drey, vier, ja achten angespannt, ziehen ordentlich in Seilen bedeutende Lasten von Fischen, Gemüse u. d. gl., und gewöhnlich sitzt der Führer noch mit auf dem kleinen Wagen. Auf diesen ebenen, gepflasterten Wegen geht es recht rasch, fast immer einen kleinen Trott, oder sehr starken Schritt. Die Schevelinger, die kein Futter für Vieh bauen können, musten freylich auf eine Weise dem Mangel an Zugvieh abhelfen, und dieß ging durch Thiere, die sie mit Fischen futtern können am besten. Wir waren kaum durch das Dorf und hatten eine mäßige Düne erstiegen, so lag die unermeßliche See zu unsern Füssen, am fernen Horizonte eine Menge von Schiffen, die man uns für Englische, hier kreuzende Kriegsschiffe ausgab. Der Strand selbst war hier bloßer Sand mit unzähligen Muscheln und Seeschalthieren bedeckt. Rechts und links hatte die Natur selbst auf dem Lande einen hohen Sanddamm durch und gegen ihre eigene Gewalt gebildet, um das zum Theil niedriger, als die See liegende Land zu schützen. Wir machten eine kleine Fahrt auf der Nordsee mit einem Fischerbothe, kehrten aber bald wieder ans Land zurück, weil die See zu hoch ging. Die Fischer waren jetzt, da die Engländer sie fischen ließen, und ihnen ihre Fische sehr theuer bezahlten, wohl zufrieden und versicherten, noch vor wenig Tagen bey Engländern an Bord gewesen zu seyn. -- Hart am Ufer liegt ein schönes Kaffehhaus, von dessen Balkon wir noch ein Mahl beym Frühstücke einer schönen Aussicht über die unermeßliche Ebene genossen.

HGA Den Haag

Am Ufer standen die Telegraphen, die aber bey weiten den Französischen nicht gleich kommen. Sie sind hier nur einzelne, hohe, aufgerichtete Mastbäume, an denen oben ein Querbalken befestigt ist, der eine Menge Rollen trägt, durch welche Stricke laufen. Zwey große, hölzerne Rahmen, beynahe wie Mühlenflügel gestaltet, mit Leinewand überzogen, mit großen Löchern versehen, und schwarz gefärbt, sind um eine in der Mitte des Mastbaums befindliche Achse beweglich und können gehoben und gesenkt werden, so daß sie mit einander nach oben und unten Winkel von verschiedenen Graden geben können; doch werden sie nur von 45°, 90°, 135° gebraucht. Damit der Wächter nicht irren könne, und genau den Winkel angebe, ist für jeden Winkel ein eigenes Strick, welches durch seine Bestimmte Länge den grössern Winkel verhindert. Da man hierdurch aber nicht genug Zeichen haben könnte, so sind noch zwey große Bälle von Leinewand an die Querstange angehängt, deren Heben oder Senken die Anzahl der Zeichen bis zu 32 vermehrt. Neben diesem Telegraphen, der in freyer Luft bewegt wird, ist eine kleine Hütte für den Wächter, der mit einem guten Fernrohre versehen ist; er sieht zuerst nach dem ihm vorgehenden Telegraphen, macht dessen Zeichen nach und läßt es so lange stehen, bis er an dem ihm folgenden, dasselbe Zeichen wahrgenommen hat. Die Entfernung der correspondirenden Telegraphen richtet sich nach dem Terrain und Locale. Diese Art von Telegraphen ist viel wohlfeiler als die Französischen, aber auch weit unbequemer und unsicherer.


Caspar Heinrich Freiherr von Sierstorpff.[]

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[1803]

Ein schöner mit mehren Reihen alter Ulmen besetzter Weg von ungefähr einer halben Stunde lang, führt nach dem an Strande der See liegenden Dorf Schevelingen; an beyden Seiten desselben sind einige schöne Gärten und Landhäuser, auch mehre Wirths- und Kaffeehäuser, letztere vorzüglich im Dorfe selbst, das Sommers über sehr stark besucht wird. Es war gerade, als ich da war, ein so starker Sturm, dass man an der See kaum das Stehen behalten konnte. Man sah die über einander gethürmten Wellen aus der weiten Ferne herkommen, und brausend schäumend auf mehre hundert Schritte weit sich auf den abgeschrägten glatten Sandufer herauf rollen. Herzlich froh war ich, dies majestätische Schauspiel auf festem Boden anzusehen, und hatte dabey den Trost, auf der ganzen weiten See mit meinem kleinen Dollund kein Schiff zu entdecken. Einige wenige Fischerpinken waren hier absichtlich auf den Strand gelassen, um da die Gefahr sicherer abzuwarten; das war alles, was man von Schiffen erblickte. Der Wind von der Englischen Küste her ist hier die gefährlichste, und es müssen die Schiffe beym eintretenden Sturm gleich die offene See suchen, wenn sie nicht an der Holländischen Küste stranden wollen. Noch im vergangenen Jahre sollen bey Schevelingen ein reich beladenes Schiff aus Indien nebst zwey andren aus England, alle drey nach Amsterdam bestimmt, auf den Strand gelaufen, und nach zwey Stunden von den Wellen zerschlagen worden seyn, ohne dass davon auch nur ein Man hätte gerettet werden können. An der See herunter, auf ein Paar hundert Schritte von derselben, zieh sich eine Reihe, für die Gegend beträchtlich hoher nackter Sandhügel fast an der ganzen Holländischen Küste her, die wahrscheinlich dort Wellen und Wind zusammengehäuft haben. Sehr merklich setzt hier das feste Land von Zeit zu Zeit an, und, wie man behauptet, hat der von der See jetzt weit entfernte Kirchthurm des Dorfs vor nicht sehr langen Jahren, nahe am Gestade gestanden, und als Leuchtthurm gedient. Obgleich im Ganzen die See an diesen flachen Küsten zunimmt, wovon die bey ungewöhnlich niedriger Ebbe sich zeigenden Ruinen einer alten Römischen Festung bey Catwich, ungefähr eine Meile von Leiden zum Beweise dient. Uebrigens ist hier der Anblick der See, aber bei weiten nicht so interessant, als von den Italienischen Küsten; denn alles ist hier zu flach und kalt, die nackten sandigen Ufer sind einförmig, und es fehlt ganz das Malerische und Romantische, welches man an den, theils felsichten, theils reich mit Bäumen und Weinreben bewachsenen Seeufern jenes himmlischen Landes sieht, wo man beym ersten Anblick der majestätischen See wie von einem heiligen Schauer betroffen wird, den man hier in dem Grade nicht empfindet.

Nachdem ich die Tage in Haag vergnügt, und den letzten noch auf einem nahen Landhause sehr angenehm zugebracht hatte, fuhr ich Abends nach Leyden.


HGA Den Haag


Zeitungsnachrichten.[]

1808.[]

Holland. [5]

Utrecht am 1. April. Seit einiger Zeit beunruhigen die Engländer mehr als je unsere Fischer. Seit Kurzem haben sie deren allein 7 von Schevelingen aufgehoben.


Quellen.[]

  1. Geographisch- Historisch- Statistisches Zeitungs-Lexikon von Wolfgang Jäger, Professor der Geschichte zu Landshut. Landshut, bei Philipp Krüll, Universitätsbuchhändler. 1811.
  2. Fell's Reise durch die Batavische Republik Aus dem Englischen übersetzt, und mit Anmerkungen begleitet von D. Karl Murhard. Leipzig, bei C. H. Reclam. 1805.
  3. Dr. Johann Friedrich Droysen's Bemerkungen gesammelt auf einer Reise durch Holland und einen Theil Frankreichs im Sommer 1801. Göttingen bey Heinrich Dieterich. 1802.
  4. Bemerkungen auf einer Reise durch die Niederlande nach Paris im eilften Jahre der grossen Republik. 1804.
  5. Wiener-Zeitung. Nro 33. Sonnabend, den 23. April.
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