Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Schreiben an den König von Preußen.[]

[1]

Mein Herr Bruder!

Ich habe erst am 7ten den Brief Ewr. Maj. vom 29. Sept. erhalten. Es thut mir leid, daß man Sie eine solche Art von Pamphlet hat unterzeichnen lassen. Ich antworte darauf in keiner andern Rücksicht, als bloß um aufs kräftigste zu bezeugen, daß ich die Gegenstände, die darin enthalten sind, Ewr. Maj. nie zuschreiben werde; sie sind ihrem Charakter und unserer beider Ehre zuwider. Ich bedaure und verachte die Verfasser eines solchen Werkes. Ich habe unmittelbar darauf die Note Ihres Ministers vom 1sten Okt. erhalten. Sie hat mir ein Rendezvous auf den 8ten d. gegeben; als ein ächter Ritter habe ich ihr Folge geleistet. Ich bin in der Mitte von Sachsen; mögen Sie mir es glauben, Ich habe eine solche Macht, welche alle, die Sie entgegen Stellen könnten, den Sieg nicht lange streitig machen würde. Aber warum soll so vieles Blut vergossen werden? Zu welchem Zwecke? Ich werde gegen Ew. Majestät die nämliche Sprache führen, die ich gegen den Kaiser Alexander zwei Tage vor der Schlacht von Austerlitz geführt habe. Wollte der Himmel, daß verkaufte oder fanatisirte Menschen, weit mehr feindlich gegen Sie und Ihre Regierung, als sie gegen Mich und Meine Nation sind, Ihnen nicht die nämlichen Rathschläge geben mögen, um zu dem nämlichen Resultat zu gelangen! Sire, Ich bin seit sechs Jahren Ihr Freund gewesen. Ich bin nicht geneigt, von dem Schwindelgeiste Vortheil zu ziehen, der Ihre Berathschlagungen belebt, und der Sie zu politischen Irrthümern verleitet hat, worüber Europa noch in Erstaunen ist; der zu militärischen Irrthümern von so enormer Größe verführt hat, daß in kurzer Zeit Europa davon wiederhollen wird. Wenn Dinge, in den Gränzen der Möglichkeit, in Ihrer Note wären gefordert worden: so würde Ich sie bewilligt haben; aber Sie forderten meine Entehrung; Sie mußten meiner Antwort gewiß seyn. Der Krieg hat also zwischen und beiden Statt; die Allianz ist auf ewig gebrochen; aber warum sollen Wir Unsere Unterthanen würgen lassen? Ich achte den Sieg nicht, den Ich mit dem Leben einer guten Anzahl meiner Kinder erkaufen müßte. Wenn Ich im Anfange meiner militairischen Carriere wäre, und wenn ich die Zufälle der Schlachten besorgen könnte, dann wäre diese Sprache an ihrer unrechten Stelle. Sire, Ew. Maj. werden besiegt werden; Sie werden die Ruhe Ihrer Tage, die Existenz Ihrer Unterthanen, ohne einen Schatten von Ursache kompromittirt haben, Sie sind in diesem Augenblicke - intakt, und können mit mir in einer Ihrem Range angemessenen Art unterhandeln; ehe noch ein Monat vorübergeht, werden Sie es in einer ganz andern Lage thun. die man mit Kunst berechnet und vorbereitet hat. Sie sagen mir: Sie hätten mir oft Dienste erwiesen, wohlan! Ich will Ihnen den größten Beweis von meinem Andenken an dieselben geben. Es steht in Ihrer Gewalt, Ihre Unterthanen von den Verheerungen und dem Elende des Krieges zu retten. Kaum begonnen, können Sie ihn endigen, und Sie werden ein Werk thun, wofür Europa dankbar seyn wird. Geben Sie daher den Rasenden Gehör, die vor vierzehn Jahren Paris einnehmen wollten, und die heute Sie in einen Krieg, und gleich darauf in offensive, eben so unbegreifliche Plane verwickelten, so werden Sie ihrem Volke ein Unglück zufügen, welches der Rest Ihres Lebens nicht wird heilen können. Sire, Ich habe von Ewr. Maj. nichts zu gewinnen. Ich will nichts, und habe nie etwas von Ihnen haben wollen. Der gegenwärtige Krieg ist ein unpolitischer Krieg. Ich fühle, daß ich vielleicht in diesem Briefe eine gewisse, allen Souverainen natürliche, Empfindlichkeit reizen werde; aber die Umstände erlauben es Ihnen zu sagen, - es ist für Europa keine große Entdeckung, zu erfahren, daß Frankreich dreimal so volkreich und eben so tapfer und kriegerisch ist, als die Staaten Ewr. Majestät. Ich habe Ihnen nicht einen einzigen motivirten Grund zum Kriege gegeben. Gebieten Sie Stillschweigen und die Ihnen schuldige Achtung dem Schwarme der Bosheit und der Kurzsichtigkeit, der Ihren Thron belagert; - geben Sie sich und Ihren Staaten die Ruhe wieder. Wenn Sie in mir nie einen Alliirten wieder finden werden, so finden Sie doch einen Mann, der von dem Wunsche beseelt ist, nie einen andern als der Politik und meinen Völkern unumgänglich nothwendigen Krieg zu unternehmen, und kein Blut in einem Kampf mit Souverainen zu vergießen, die mit mir in gar keiner Opposition der Industrie, des Handels und der Politik stehen.

Ich bitte Ew. Maj. in diesem Briefe nichts anderes zu finden, als den Wunsch, den ich habe, Menschenblut zu schonen, und einer Nation, die nach ihrer geographischen Lage gegen die Meinige nicht feindlich seyn kann, die bittere Reue zu ersparen, gewissen ephemeren Gesinnungen zu sehr Gehör gegeben zu haben, die unter den Völkern so leicht erweckt und beruhigt werden.

Zu diesem bitte Ich Gott, Mein Herr Bruder, daß er Sie in seinen heiligen und gnädigen Schutz nehme.

Ewr. Majestät guter Bruder
Unterzeichnet: Napoleon.

In Meinem Kaiserl. Hauptquartier zu Gera,

den 12ten Oktober 1806.


Denkwürdigkeiten aus dem Tagebuche des General Grafen von Rapp.[]

[2]

Unsere Truppen brannten für Verlangen, sich zu schlagen. Die Preußen hatten Saalfeld und Schleiz besetzt; wir griffen sie an, warfen sie zurück und machten gegen tausend Gefangene. Das waren die ersten beiden Gefechte, welche wir mit ihnen hatten. Ich verließ jetzt Murat, bei welchen ich bisher hatte bleiben müssen, und überbrachte Napoleon die Nachricht von dem Gefechte bei Schleiz; er hatte sein Hauptquartier einige Stunden weiter rückwärts auf dem Schlosse der Fürstin von Reuß-Lobenstein. Er arbeitete mit Berthier. Ich meldete ihm den Sieg des Großherzogs und Tauenzins Flucht. Er befahl mir, mich schlafen zu legen, in einigen Stunden werde man mich wecken um versendet zu werden. Ich konnte mir nicht vorstellen, wohin das seyn sollte. Gegen fünf Uhr wurde ich wirklich gerufen. Der Kaiser übergab mir ein Schreiben an den König von Preußen, der, wenn ich nicht irre, damals sein Hauptquartier in Sondershausen hatte. "Sie werden dem König von Preußen aufsuchen, sagte er, "und ihm diesen Brief von mir überreichen. Ich mache ihm nochmals Friedensvorschläge, obgleich die Feindseligkeiten schon ausgebrochen sind. Suchen Sie den König auf seine gefährliche Lage und alle die traurigen Folgen, die daraus entstehen können, aufmerksam zu machen. Seine Antwort überbringen Sie mir zugleich. Ich gehe nach Gera." Unsere sämmtlichen Equipagen waren noch zurück, ich hatte daher keinen Wagen, und borgte einen aus der Remise der Fürstin, ließ ihn mit vier guten Pferde bespannen und reiste gegen sechs Uhr ab. Noch war ich keine Stunde weit, als Napoleon mich wieder zurückrufen ließ. Ich begab mich zu ihm in sein Cabinet, in welchem er die ganze Nacht gearbeitet hatte. Er sagte, daß ich den Brief an Berthier abgeben solle, und fügte hinzu: "Nach reiflicher Ueberlegung finde ich es nicht passend, daß einer meiner Aides-de-Camp mit einer solchen Sendung beauftragt werde. Sie sind schon zu bedeutende Personen, um sie einem übeln Empfang auszusetzen." Zwei Tage später wurde das Schreiben durch Herrn von Montesquieu, ich glaube von Gera aus, übersendet. Es ist bekannt, wie er behandelt wurde, der Fürst von Hohenlohe ließ ihn anhalten, der Schlacht von Jena mit beiwohnen und beförderte, wie man für gewiß erzählt, den Brief nicht eher als nach der Schlacht.

Mehrere Personen aus den Umgebungen Napoleons behaupteten, wenn ich den zuerst mir gegebenen Auftrag hätte ausrichten konnen, so würde ich bis zu dem König von Preußen gelangt seyn und vielleicht hätte es dann keinen Krieg gegeben. Ich kann mir das nicht denken. Der Fehdehandschuh lag einmal, er mußte aufgehoben werden. Ich glaube sogar nicht, daß Napoleon mehr zum Frieden geneigt war, als der König von Preußen.


Ueber die Verspätung der, durch den Herrn von Montesquiou am 13ten October überbrachten Briefe.[]

[3]
Nachfolgender geschichtlicher Beitrag zu den merkwürdigen Ereignissen bei Jena, im verflossenen Spätjahre, ist dem Herausgeber der Nordischen Miszellen von guter Hand mitgetheilt worden. Er ist ganz dazu geeignet eine Begebenheit ins Licht zu setzen, welche durch die öffentliche Meinung eine historische Wichtigkeit erlangt hat.

Die wiederholten Anzeigen, die sich in öffentlichen Blättern, Flugschriften, Berichte u. s. w. über die Sendung des Herrn von Montesquiou am 13. October ins preußische Hauptquartier vorfinden, und die Aemsigkeit, mit der man bemüht ist, die Verspätung der Briefe, welche derselbe bei sich trug, als einen Hauptverstoß zu betrachten, und diese Sache in ein solches Licht zu stellen, als ob ohne diese Verspätung nicht allein die Schlachten am 14., sondern wohl gar der ganze Krieg abgewendet worden wäre, scheint die folgenden Betrachtungen nicht ganz überflüßig zu machen, welche ihr Entstehen der Erzählung einiger Augenzeugen verdanken.

Bisweilen, oder man mögte lieber sagen, sehr häufig haben grade die Umstände und Ursachen, die bei einer flüchtigen Betrachtung als höchst geringfügig und unwesentlich erscheinen, den bedeutendsten Einfluß geäußert. Ein einzelnes Wort, in diesem oder dem Tone gesprochen, eine Verzuckung des Mondes, eine leise Bewegung der Hand, alle jene Kleinigkeiten, die wir so oft mit Recht an großen Schauspielern bewundern, verdienten gemeinhin auch im wirklichen Leben, in wie fern es auf Urtheile über Menschenthum und Lassen ankommt, in größere Erwägung gezogen zu werden, als stundenlange Reden. In dem berüchtigt gewordenen Kriegsrathe zu Erfurt am 5. October warf die einzige wohl aczentuirte Bemerkung des Marchese Lucchesini: "daß es der Kaiser nicht wagen werde, durch eine Offensivoperation, in dem nachtheiligen Lichte eines Aggressors zu erscheinen, alle Gründe, alle Vorschläge über den Haufen, die man an diesem Tage, und an so vielen frühern verschwendet hatte, dem Könige von Preußen anschaulich zu machen, daß das Heil seiner Waffen in einer thätigen Offensive, und in dem raschen Vordringen über die feindliche Gränze bestehe. -- So verhinderte im Jahre 1799 die einzige Bemerkung des Herrn Lombard, der seinen König (über die vorläufige Einwilligung, welche er auf die dringenden Vorstellungen des Herzogs von Braunschweigs und Grafen Haugwitz, zum Beitritt einer damals im Entstehen begriffenen Koalition gegen Frankreich, gegeben hatte) eines Abends sehr niedergeschlagen antraf: "Aber Ew. Majestät sind ja Herr und Meister zu thun und zu lassen, was Ihnen beliebt," -- eine Koalition und einen Krieg, der vielleicht glücklicher gewesen wäre, als der jetzige. Doch zur Sache.

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Pierre de Montesquiou-Fezensac

Einige Husaren, welche am 13. Nachmittags nach Dornburg hineingesprengt waren, erfuhren von den dasigen Einwohnern, daß ein französischer Offizier unlängst in der Stadt gewesen sei, der sich noch in der Nähe befinden müsse. In der Erwartung eine gute Beute zu machen, begaben sie sich heraus ins Saalthal, und fanden in der Nähe von Porstendorf, in einer der daselbst nahgelegenen Schluchten, den Herrn von Montesquiou, wenn ich nicht irre, zu Fuß, welcher mit Schreibtafel und Bleistift in der Hand beschäftigt schien, die Gegend aufzuzeichnen. Er ward ergriffen; der Husar nahm ihm Uhr und Säbel ab, und nöthigte ihn, ihn als Gefangener nach Dornburg zu begleiten. Herr von Montesquiou, in Dresden erzogen, und der teutschen Sprache völlig mächtig, verschwendete seine ganze Beredsamkeit sich loszuwinden, und unterstützte seinen Antrag mit einigen Goldstücken. Der Husar steckte die Goldstücke gleichmüthig ein, ermangelte indessen nichts desto weniger seinen Gefangenen, den er nach der, unter dieser Klasse von Leuten gewöhnlichen, Vorstellungsart, unmittelbar für einen französischen Spion hielt, vor den Fürsten Hohenlohe zu führen, der sich mit seiner Suite auf der Anhöhe von Zimmern befand.

Der Herr von Montesquiou, der das Mißliche und Verdachterweckende seiner Lage in seinem vollen Gewichte empfand, sagte auf die etwas barschen Fragen des Fürsten: "Wer er sei, und was er hier treibe?" einige Komplimente her, wie glücklich er sich schätze, die Bekanntschaft eines so ausgezeichneten Feldherrn und eines Fürsten zu machen, den er stets verehrt habe, aber wie unglücklich er zugleich sei, sich in dieser wilden Gegend verirrt zu haben u. dergl. Der Fürst wiederholte seine Fragen, der Herr von Montesquiou seine artigen Komplimente. "O, sagte der Husar, welcher ihn eingebracht hatte, Ew. Durchlaucht, der Kerl ist ein Spion; er hat sich hier schon den ganzen Nachmittag herum getrieben, und ich habe ihn da unter auf einem Seitenwege angetroffen, wie er sich alles aufgeschrieben hat. Er spricht deutsch wie wir, und hier ist das Geld, was er mir gegeben hat, um mich zu bestechen, daß ich ihn mögte laufen lassen; aber ich habe mich wohl gehütet." Herr von Montesquiou konnte die Thatsache nicht läugnen; er gab sich aber jetzt als einen Kammerherrn der Kaiserin, und Capitaine des ordonances permanentes, zu erkennen. "Wo ist der Kaiser?" fragte der Fürst. Nach einigen Winkelzügen kam es heraus, daß er in Gera sei, und jetzt wurden eine Menge Fragen und Antworten gewechselt, über Dinge, die auf die Stellung und Märsche der französischen Armee und dergleichen Bezug hatten. Der Herr von Montesquiou, der mittlerweile wieder einige Fassung gewonnen hatte, lag den Fürsten inständigst an, ihn auf freien Fuß zu setzen, und da man dies seltsam fand, berief er sich auf das schützende Völkerreicht der Gesandten, und versicherte, daß er Aufträge und Briefe vom Kaiser an den König von Preußen habe. Er mußte sie vorzeigen. Es waren drei. Einer vom Kaiser an den König; der zweite vom Fürsten von Bennevent an den Minister Haugwitz, und der dritte vom französischen Generalquartiermeister an den Generalquartiermeister der preußischen Armee. Der Fürst erbrach den letztern, der mehrere Vorschläge über die gegenseitige Behandlung der Gefangenen und Verwundeten enthielt, die wohl verdient hätten zur Norm angenommen zu werden. Der Brief war aber nicht aus Gera, sondern aus irgend einem andern, ich weiß nicht mehr welchem, weit entlegeneren Orte, datirt. Dieser Umstand fiel auf, und es begann ein neues Examen. Hierin wiederholte der Herr von Montesquiou die Behauptung, er sei mit den Briefen, die, soviel er wisse, eine Antwort auf die preußischer Seits wegen Auslieferung des Leichnams vom Prinzen Louis eingelaufene Bitte enthalten, aus Gera abgefertigt worden. Er habe hier nicht erwartet auf preußische Patrullen zu stoßen; des Weges unkundig, habe er den Marschall Lannes verfehlt, der ihn mit einem Trompeter versehen sollen; er bitte inständigst so schnell als möglich zum Könige gebracht zu werden, denn seine ganze Kariere hange von der Ausrichtung seines Auftrags ab, und er würde die Gnade des Kaisers unausbleiblich und für immer verscherzen, wenn man ihn länger aufhalten wolle.

So geneigt man auch sein mogte, der Erzählung des Herrn von Montesquiou Glauben beizumessen, und eine Menge kleiner Umstände, die sich vereinigten, seine Person und sein ganzes Geschäft im höchsten Grade verdächtig zu machen, auf Rechnung eines unglücklichen Ungefährs und einer sehr begreiflichen Bestürzung zu schieben, so hatte dennoch die Art und Weise, wie er sich bisher benommen und sich hatte ergreifen lassen, zuviel wider sich, um nicht gar gerechte Zweifel zu hegen. An und für sich war es sonderbar genug, daß man einen Offizier mit kaiserlichen Aufträgen, ohne Boten, ohne Trompeter oder Bedeckung von Gera fortgeschickt hatte. Aber wie kam denn dieser Offizier, welcher der Sprache und selbst des Landes so kundig schien, hierher nach Dornburg. Ging hier etwa die Straße nach Weimar? oder war dort in der Nähe der Marschall Lannes? Wenn sein eigentliches Geschäft war, Briefe zu überbringen, warum wollte er denn die preußischen Vorposten umgehen, warum kam er erst so spät, und gleichsam wie nach einer ihm während der Verlegenheit noch zur rechten Zeit in das Gedächtniß zurückgerufenen Idee dahin, dieses Auftrags zu erwähnen? Warum, wenn sein Geschäft eilig war, hatte er sich in Dornburg verweilt, und allerlei, dem Geschäft fremdartige Erkündigungen eingezogen, und im Saalthale gezeichnet? Woher der früher datirte Brief? Weshalb das wiederholte Hinweisen auf die Verschlimmerung seines Privatschicksals? Erst später, nachdem er mehr Kontenance gewonnen hatte, und merkte, daß der Fürst gesonnen sei, ihn als einen Gefangenen zu behandeln, der die Vorposten rekognoszirt habe, versicherte er im Vertrauen, daß die unerbrochnen Briefe von der äußersten Wichtigkeit seien, daß darinnen vielleicht Vorschläge enthalten seien, die den entscheidendsten Einfluß auf Krieg und Frieden haben könnten, und dergl. mehr. Hatte jetzt nicht die Sache ganz den Anschein, als on die vorgebliche Sendung blos ein Vehikel sei, auf eine geschickte Manier sich in der Nähe der Vorposten und im Rücken der Armee aufhalten zu dürfen, ohne eben gar große Gefahr zu laufen? Denn wurde man im schlimmsten Falle ertappt, nun so erzählte man, im Vertrauen auf die oft erprobte teutsche Gutmüthigkeit, irgend ein Fabel, zeigte endlich die Briefe vor, sah und hörte eine Menge wissenswerther Dinge, und kehrte endlich unter sicherer und höflicher Begleitung ins kaiserliche Hauptquartier zurück. Ist nicht der General Bauer im siebenjährigen Kriege unzählig oft auf ähnliche Weise in die Gefangenschaft geritten? Hatten die Franzosen nicht Offiziere ihres Generalstaabs sub titulo: Kouriere an den Gesandten beim sächsischen Hofe, bis nach Dresden geschickt? Waren nicht andre im Hauptquartier zu Naumburg gewesen? Hatte man nicht in Gera 25000 Livres geboten, wenn sich jemand von den Landeseingebohrenen verstehen wolle, die Stellung der preußischen Armee genau auszukundschaften? War nicht das ganze schüchterne und verlegne Betragen des Herrn von Montesquiou, seine immer neuen Ausflüchte und das seltsame Zurückhalten mit dem eigentlichen Zwecke seines Geschäfts, ganz dazu geeignet den anfänglich gehegten Verdacht zu bestärken? Hatte der Herr von Montesquiou wirklich den Weg und den Marschall Lannes verfehlt, und war sein Geschäft in der That so wichtig und dringend, so hatte er nichts eiligeres zu thun, als sich von Dornburg aus, durch einen sichern Boten ohne Verzug nach Jena f_hren zu lassen, das, wie ihm nicht unbekannt sein konnte, wenn er am Morgen den Kaiser verlassen hatte, von den Franzosen besetzt war, und woselbst der Kaiser bereits persönlich eingetroffen war. Gesetzt aber auch, er hätte dies Alles nicht gewußt, und ein unglückliches Geschick, wie es die schuldlosesten Menschen oft am leichtesten und ärgerlichsten neckt und berückt, hätte ihn in die Gefangenschaft geführt, so konnte nur ein offnes und freimüthiges Betragen ihn frei sprechen und ihm Zutrauen erwecken; es mußte seine erste Rede sein: "Dies ist mein Geschäft, es ist von der höchsten Wichtigkeit, es leidet schlechthin keinen Aufschub, und ich mache dich, Fürst Hohenlohe, verantwortlich, wenn du, falls es dir um meine Person zu thun ist, nicht augebilcklich meine Depeschen an deinen König beförderst." Der Fürst würde nicht einen Augenblick gesäumt haben, seinem Verlangen zu willfahren. So aber blieb dem Fürsten fast kein andres Urtheil als dieses: Dieser französische Offizier ist entweder blos gesendet, um zu recognosciren, und man hat ihm zu seiner Sicherheit einige gleichgültige Briefe mitgegeben, die er schon seit einigen Tagen bei sich in der Tasche herumträgt; oder aber die Rekognoszirung ist Nebensache, ein beiläufig aus eignem Antriebe übernommenes Geschäft, Folge einer verführerischen Gelegenheit, aber alsdann sind die Briefe, welche er überbringen sollte, auch von keiner besondern Erheblichkeit, weil sonst sein fahrläßiges und saumseliges Betragen unerklärlich wäre. Das Geständniß, welches ihm gleich anfangs die Verlegenheit entlockte, giebt den wahren Aufschluß über ihren Inhalt, und das spätere Vorgeben einer größern Wichtigkeit ward ihm blos durch die Besorgniß eingeben, daß ihm seine Ungewandheit und Unvorsichtigkeit, Verweise und die Ungnade des Kaisers zuziehn müsse. Ob der König (konnte der Fürst ferner argumentiren) den Bescheid über die Leiche des Prinzen Louis einen Tag früher oder später erfährt, ist unwichtig; aber es ist nicht gleichgültig, wie früh die Franzosen von dem Marsche des Königs nach Auerstädt und von der isolirten Lage der Armee des linken Flügels benachrichtigt werden, und zu gleicher Zeit ist es höchst wichtig für mich, im Laufe eines längern Gesprächs, dem jungen Manne der täglich um die Person des Kaisers ist, theils diese oder jene interessante Aeußerung zu entlocken, theils ihm diese und jene Ansicht einzuflößen, die er nicht ermangeln wird, gehörigen Orts wieder ausströmen zu lassen. –

Der Herr von Montesquiou, der zu gleicher Zeit von einer andern Seite, durch sein liebenswürdiges Aeußere und seine feine Bildung, vielleicht auch durch seine geschmeidige Höflichkeit, und den Kammerherrnschlüssel, den er am Rockschoße trug, einen günstigen Eindruck auf mehrere der anwesenden gemacht hatte, erhielt seine Uhr, seinen Säbel und sein Geld zurück; man behandelte ihn von nun an sehr artig und zuvorkommend; der Fürst ließ ihm ein Pferd geben, und lud ihn, da es schon spät sei, und er zu fatigirt seyn werde, um sogleich seine Reise fortzusetzen, zur Abend- (oder eigentlich verspäteten Mittags-) Tafel nach Kapellendorf. Herr von Montesquiou, wiewohl etwas ungern, und obschon er nicht unterließ, sich von Zeit zu Zeit über sein Unglück zu beklagen, und in den sanftesten und wohlklingendsten Phrasen zu bitten, daß man doch auf seine peinliche Lage Rücksicht nehmen, und seine Weiterbeförderung möglichst beschleunigen möge, ließ sich indessen den Vorschlag gefallen, und bestärkte dadurch den Fürsten und seine Umgebungen immer mehr und mehr in ihren Vermuthungen. So geschah es dann, daß er erst am folgenden Morgen, nachdem der Fürst seinen Rapport an den König über die Vorfälle vom 13ten beendigt hatte, in der Begleitung des Hauptmanns von Gneisenau, zum Könige abgeführt wurde. Durch das Zusammentreffen mit dem General Rüchel, der den Herrn von Gneisenau mit einem andern Offizier vertauschte, ward die Reise des Herrn von Montesquiou nochmals um einige Stunden verspätet, und es scheint fast, daß der General Rüchel die ganze Angelegenheit aus demselben Gesichtspunkte betrachtet hat, wie der Fürst Hohenlohe. Sieht man indessen auch ganz davon ab, in wie fern das Benehmen des Fürsten bei dieser Gelegenheit tadelnswerth gewesen sei oder nicht, so läßt sich nach wahrscheinlichen Gründen berechnen, daß die Verzögerung des Herrn von Montesquiou auf die Ereignisse des 14ten Oktobers wenig oder gar keinen Einfluß gehabt hat.

Hätte die Sendung des Herrn von Montesquiou wirklich Einfluß haben sollen, so hätte mit den Operationen bis zu seiner Rückkehr gewartet werden müssen, die aber vor Mitternacht nicht füglich erfolgen konnte, da er am Nachmittage erst in Dornburg war, und eine so wichtige Angelegenheit zweifelsohne den König und seine Rathgeber einige Stunden beschäftigt haben würde. Diese Vermuthung gewinnt um so mehr an Wahrscheinlichkeit, da man aus den französischen offiziellen Berichten weiß, daß selbst noch am 14ten der Kaiser das Gefecht gern um einige Stunden verspättet hätte, wenn ihm nicht die Gelegenheit allzugünstig erschienen wäre. Eben so würde der Herzog von Braunschweig in dem Fall, daß der König die Vorschläge des Kaisers genehmigt hätte, nicht ermangelt haben, den unter jeden Umständen nöthigen und wichtigen Marsch nach Freiburg fortzusetzen. Die Avantgarde der Hauptarmee wäre sodann, wie nun, mit dem Marschall Davoust zusammengestoßen, der auf keine Weise unterrichtet seyn konnte, und auch zu viel Gründe für sich hatte, um diesen Marsch gutwillig zuzulassen. Das Gefecht hätte dort begonnen, und der Kanonendonner von Auerstädt wäre das Signal zur Schlacht von Jena geworden.

Es würde nicht schwer seyn, den hier angestellten, ähnliche Betrachtungen noch in ziemlicher Anzahl herbeizuführen, wenn man sich nicht überzeugt halten dürfte, daß diejenigen Personen, welche sich mit der nöthigen Unbefangenheit begabt, und sich geneigt finden, in solche Untersuchungen einzugehn, ohne weitere Mühe und Anleitung, durch ein geringes Nachdenken von selbst auf Folgerungen geführt werden müssen, welche die harten und schnellen Urtheile, welche man häufig über dies Ereigniß fällen hört, zu einem gemäßigtern Ton herabstimmen dürften, und wenn man nicht andrerseits durch die Erfahrung längst belehrt wäre, daß die ungläubige und durch einmal aufgefaßte Vorurtheile so sehr verhärteten Gemüther, daß eine später aufgestellte Ansicht an ihnen ungeprüft vorübergeht, durch die Quantität der beigebrachten Motiven und Beweissätze nicht bewogen werden, sich ihren Glauben einen Augenblick lang in der Form des Irrglaubens erscheinen zu lassen. –


Quellen.[]

  1. Königlich priviligirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Zeitungs-Expedition auf der Jägerbrücke Nr.43. Im Verlage Vossischer Erben. 133sten Stück.
  2. Denkwürdigkeiten aus dem Tagebuche des General Grafen von Rapp. Höchstnöthiger Anhang zu Las Cases Denkwürdigkeiten von St. Helena. Erfurt und Gotha, Hennings'sche Buchhandlung. 1824.
  3. Nordische Miszellen. Achter Band. Hamburg, bei A. Bran, und in Commission bei B. G. Hoffmann, 1807.
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