Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Smolensk.[]

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Smolensk, in welches die Truppen der großen Armee am 18ten August einrückten, ist die Hauptstadt des Gouvernements dieses Namens, welches auch Weiß-Rußland in sich begreift. Diese Stadt ist groß, wohl befestigt, liegt am Dnieper, ist der Sitz eines Gouverneurs und eines Bischofs, und treibt einen beträchtlichen Handel mit Flachs, Hanf, Pelzwerk xc., mit Danzig, Riga und der Ukraine. Smolensk liegt 75 Stunden südöstlich von Moskau. Schon vor Alters gehörte diese Stadt an Rußland und war der Hauptort eines besondern Fürstenthums; 1413 ward sie aber mit Lithauen vereinigt. Der Großfürst Wasili-Iwanowitsch nahm sie 1599 wieder weg, und der Czaar Boris Godunow ließ sie mit einer dicken steinernen Mauer befestigen. Sie ward nach einander von den Polen und Russen genommen und wieder genommen, und blieb endlich im Besitz der Letztern seit 1667.


Verfolg der Einnahme von Smolensk.[]


(18. August.)

Mit Anbruch des Tages nimmt man von der Stadt Besitz.

Zuerst sorgt man dafür, den Flammen zu entreißen, was noch zu retten ist. Die verwundeten Russen, die in Häusern liegen, denen sich das Feuer nähert, bringt man schnell in Sicherheit. Diese Unglücklichen selbst erzählen uns: daß ihre Gefährten, ehe sie gingen, die Feuersbrunst entzündet haben.

Die Befehle des Kaisers, die während der letzten Stunden der Nacht erlassen wurden, setzten alle Dienstzweige in Bewegung. Jeder Chef mengt sich eilig in diesen furchtbaren Tumult, macht sein Ansehen in Sachen, denen er vorsteht, geltend und alle thun ihre Schuldigkeit. Während unsere Tirailleurs herbeieilen, sich auf den Mauern zu postiren, welch den Fluß beherrschen, und durch Kleingewehrfeuer die feindliche Arriergarde zwingen, und das jenseitige Ufer zu überlassen, werden der Artillerie, den Lebensmitteln und den Spitälern Plätze angewiesen; die Sappeurs theilen sich, um das Feuer zu bändigen und die Brücken wieder herzustellen, und die Militärchirurgen lassen, alle Transportmittel aufbietend, die Verwundeten aufheben, mit denen die Umgebungen der Stadt bedeckt sind *).

*) Wir hatten auf unser Seite ungefähr 6000 Verwundete und 1200 Todte. Der größte Theil der Verwundeten hatte die ersten Verbände auf dem Schlachtfelde erhalten. -- Wir ließen sie mit der größtmöglichsten Schnelligkeit aufheben, um sie in 15 großen Gebäuden, die zu Spitälern umgeschaffen waren, zu vereinigen. Die Russen wurden mit den Unsrigen gleich behandelt. (Doctor Larrey S. 30, 31 u. 44.)

Napoleon ist unter allen ältern und neuern Generalen derjenige, welcher den Verwundeten die meiste Sorgfalt widmete. Niemals vergaß er sie in der Trunkenheit des Sieges, und sie sind stets sein erster Gedanke nach jeder Schlacht. (Gourgaud Examen critique p. 176.)

Vor dem Einzuge in Smolensk will der Kaiser dessen Außenwerke durcheilen. Beim Eintritt in die Werke der Citadelle erkennt man zu spät, daß dieser Punkt, von dem man sich ein furchtbares Bild entwarf, der schwächste des Platzes sey. Wenn in dem ersten Augenblicke unserer Ankunft das 46. Regiment unterstützt worden wäre, hätte vielleicht Smolensk genommen werden können *).

*) Es war ein Unglück, daß der Marschall Ney nicht seinem ersten Plane folgte, und daß er bei der Ankunft nicht sogleich einen kecken Angriff auf diesen Punkt gemacht hatte, denn die Stadt wäre genommen worden. Die Citadelle war nur von Erde ausgeführt. (Gourgaud Ex. crit. p. 151.)
Die Russen müssen es sich zum Glücke anrechnen, daß Napoleon vom wahren Stande der Dinge nicht unterrichtet worden war. Denn dann würde er ohne Zweifel die größten Anstrengungen gemacht haben, um in Smolensk durch die Citadelle einzudringen. (Chambray 1. Th. S. 314.)

Von der Citadelle begibt man sich nach den Ufern des Dnieper. Hier steigt Napoleon ab und stellt sich in die Fensteröffnung eines alten Thurmes, um die Stellung, die der Feind noch auf der andern Seite des Flusses hält, besser überschauen zu können. Barclai de Tolly befindet sich nicht mehr dort; mit der Morgenröthe hat er die Hügel verlassen, welche die Stadt beherrschen und retirirt auf der Straße von Petersburg, während Bagration [xxxx] seit zwei Tagen auf der von Moskau marschirt. Haben die beiden Generals en Chef im Ernste ihre Armeen getrennt? oder ist vielleicht der Rückzug Barclai de Tolly's nur eine Kriegslist? soll diese scheinbare Trennung uns nur einige Augenblicke bei der Verfolgung in Zweifel lassen? Der Kaiser ist geneigt, es zu glauben; seine Zweifel aber werden nicht eher ganz gelöst werden, als bis unsere Vortrapps sich auf dem rechten Ufer werden verbreiten können, und der Generalmajor Korf hält doch noch immer mit einer starken Arrièregarde die Vorstadt St. Petersburg besetzt. Während Marschall Ney Anstalten trifft, ihn dort zu verjagen, wird das Kleingewehrfeuer von einem Ufer zum andern unterhalten und die Kanonen der feindlichen Höhen sind auf unsere Arbeiter gerichtet. Der Kaiser selbst ist auf der Stelle, wo er sich befindet, nicht vor Gefahr sicher; die Flinten- und Kanonen-Kugeln treffen ohne Unterlaß die Mauern in seiner Nähe: Napoleon aber ist nur mit Erforschung der feindlichen Stellung beschäftigt. Nachdem er mehr als eine Stunde sich hier verweilt hat, steigt er zu Pferde und hält in der Festung seinen Einzug. Das Gemälde, welches uns Smolensk *) bietet, ist das gräßlichste, das je dieser Krieg gegeben hat. Die Russen ließen in den Gräben, unter den Thoren und in den Straßen mehr als 4000 Todte und 6000 Verwundete *).

*) Die Scene der Verwüstung welche das Innere von Smolensk darbot war fürchterlich. Mein Einzug in dieser Stadt machte Epoche in meinem Leben, sagt ein Officier als Augenzeuge. Man stelle sich die brennenden Häuser vor, alle Straßen, alle Plätze mit todten oder sterbenden Russen bedeckt, während die trostlosen Familien allen Gefahren trotzen, um Trümmern der Wuth der Flammen, die weithin dem schrecklichen Schauspiele leuchten, zu entreißen. Der wenigen noch übrigen Häuser hatten die Soldaten sich bemächtigt; -- die Kirchen allein boten den Unglücklichen, die ohne Zuflucht waren, einigen Schutz: -- die Kathedrale, in Europa berühmt und hoch geehrt von den Russen, wird die Zuflucht der Unglücklichen, welche der Feuerbrunst entronnen sind. Mitten unter dieser Zerstörung bot einen auffallenden Contrast der Durchmarsch der Armee durch die Stadt; auf der einen Seite die Niedergeschlagenheit der Besiegten und auf der andern der Stolz der Sieger. Die Einen hatten Alles verloren: die Andern, reich an Beute, und noch niemals Niederlagen erlitten habend, marschirten stolz einher nach dem Tone einer kriegerischen Musik, und wurden von Furcht und Bewunderung zugleich überfallen bei den unglücklichen Resten einer sterbenden Bevölkerung. (Eugène Labaume p. 105.)
*) Bei jedem französischen Leichname sah man fünf bis sechs russische. Diese Thatsache wird wahrscheinlicher, sobald man weiß, daß die russische Tirailleurs, durch den Genuß starker Branntweine, sich im Augenblicke des Gefechtes weit verwegener als klug bezeigten, und sich in Gefahr stürzten, ohne dem Gegner viel Schaden zuzufügen. (Eugène Labaume p. 106.)

Ihre Generalmajors Skalon und Balla wurden getödtet. Unser Verlust war groß; jedoch um Vieles geringer als der des Feindes. Wir zählen unter unsern Todten den polnischen General Grabusky, und unter unsern Verwundeten die Generale Zayonczek, Dalton und Grandeau.

Nicht ohne Schwierigkeit gelangt der Kaiser nach seinem Quartier, welches ihm in einem Hause nicht weit von der Citadelle, im Südwestwinkel des großen Platzes bereitet worden ist. Auf jedem Schritte stoßen ihm Scenen des Jammers auf und seine Hülfe begegnet jedem Bedürfnisse. Er drängt und ermuthigt vorzüglich die Arbeiter. Schon hat man durch viele Anstrengungen eine ziemliche Anzahl Häuser vom Feuer gerettet; sie werden alsbald in Magazine und Spitäler umgewandelt. Wie schrecklich auch der Zustand, ist in welchem wir Smolensk treffen, Napoleon sieht doch ein, daß diese Stadt in militärischer Hinsicht uns noch von großem Nutzen seyn kann *).

*) Worte des Bulletins.

Am Abende entschließt sich der General Korf die Vorstadt St. Petersburg uns zu überlassen; aber die Flammen wüthen noch dort und streiten mit uns um den Besitz.

Den andern Tag um vier Uhr Morgens beginnen unsere Colonnen über den Borysthenes zu gehen.

Die Truppen des Marschalls Ney erklimmen zuerst die Höhen, welche Barclai der Tolly's Reserve an den vorhergehenden Tagen besetzt hielt. Unsere Vortrapps verbreiten sich in alle Räume, welche die beiden großen Straßen von St. Petersburg und von Moskau trennen, und die Cavallerie des Generals Bruyères sprengt den Spuren Barclai de Tolly's nach.

Die Armee des Fürsten Eckmühl [xxx] folgt nun, die Divisionen Gudin [xx] und Compans [xx] fassen Posto hinter den Truppen des Marschalls Ney [xxx].

Die Cavallerie des Königs von Neapel [xxx] passirt den Fluß, durch eine Furth oberhalb der Stadt, und ist bestimmt auf der Straße von Moskau zu marschiren.

Die westphälische Armee des Herzogs von Abrantes [xxx], welche im Osten von Smolensk gelagert hat, darf nur über den Dnieper gehen, um einen weiten Umweg zu ersparen, den die Straße von Moskau nach dieser Seite hin macht. Der Kaiser gibt Befehl, den Uebergang in Pruditschewo auszuführen, um nach dieser Straße, jenseits der Defiléen von Valutina, vorzurücken.

Die Garde bleibt in Smolensk; der Vicekönig begibt sich eben dorthin. Die Polen [xxx] rücken immerwährend auf dem linken Ufer des Borysthenes vor.


Briefe eines Französischen Officiers aus Rußland während des Feldzugs von 1812 und aus seiner Kriegsgefangenschaft.[]


Aus dem Französischen. [2]

Die Briefe, woraus wir hier ein Bruchstück mittheilen, rühren von einem bei der Kriegsverwaltung in Smolensk angestellt gewesenen, nachher in Russischer Gefangenschaft gerathenen Französischen Officier höheren Grades her, und gewähren schon durch die Neuheit der Standpuncte, aus welchen der Verfasser die damaligen Ereignisse beobachten konnte, ein hinreichendes Interesse, um unsere Leser mit dem erheblichsten Theile ihres Inhalts näher bekannt zu machen.

*) Lettres sur la guerre de Russie; par L. V. D. P. ect. Paris 1816.
Smolensk, am 27. August 1812.

Napoleon ist seit fünf Tagen mit seinem Hauptquartier der Armee auf der Straße nach Moskow gefolgt; also ist alle Hoffnung, daß unsere Truppen sich in Pohlen setzen und concentriren würden, verloren. Das Loos ist geworfen, die Russen finden auf dem Rückzuge in ihr Vaterland zahlreiche Verstärkung, und alles läßt glauben, daß wenn sie eine Schlacht liefern, nur der Vortheil des Orts und der Zeit sie dazu vermögen werde. Schon seit einiger Zeit finden hier keine regelmäßigen Proviantvertheilung Statt, der Zwieback ist verzehrt, es giebt keinen Brantwein mehr, und man lebt jetzt hauptsächlich nur noch von dem Vieh, welches man unterwegens wegnehmen kann, und dieß ist von geringem Belange, weil die Einwohner bei unserer Annäherung sich in den Feldern verbergen, und alles, was sie mitnehmen können, in ihre unermeßlichen und fast undurchdringlichen Wälder verstecken.

Unsere Soldaten verlassen die Fahnen, um sich Nahrungsmittel zu suchen, und werden einzeln von Russischen Bauern mit Beilen, Lanzen oder Flinten getödtet.

Die wenigen Lebensmittel, welche noch in Smolensk vorhanden waren, sind auf Wägen geladen, welche der Armee folgen sollen, und man hat nicht eine Unze Mehl hier gelassen; schon leiden die sechs bis siebentausend Verwundeten, welche in die Hospitälern sind, seit mehreren Tagen, Mangel an Nahrungsmitteln. Das Herz blutet mit beim Anblick dieser tapfern Krieger, welche auf sparsamem Stroh ausgestreckt oft nur die Leiche eines ihrer Mitstreiter zum Kopfkissen haben. Wenn die Sprache sie noch nicht verlassen hat, so hört man sie nur nach Brod, oder nach Leinewand zum Verbande, oder nach Wundfäden rufen; aber nichts von dem allen ist da. Die neu erdachter, mit Ochsen bespannten Transportwagen, welche Hospitaleffecten herbeiführen, sind noch funfzig Stunden Weges zurück. Selbst andere, besser bespannte Fuhren, welche mit Bedürfnissen der ersten Nothwendigkeit beladen sind, haben die Armee, welche nur Eilmärsche macht, noch nicht erreichen können.

Bis jetzt ging kein General in die Schlacht, ohne seine Lazarethwägen mit sich zu führen; jetzt hat sich das alles geändert; blutige Gefechte beginnen, wann es ihm gefällt, und dann wehe den Verwundeten: "Warum ließen sie sich nicht tödten"? Jeder Verwundete hat sein letztes Hemde zum ersten Verbande hingegeben, er hat keine Leinewand mehr, und die einfachten Wunden werden tödtlich. Vor Allem rafft der Hunger eine Menge Menschen hin, welche man im Angesicht der Sterbenden in den Höfen oder Gärten auf einander häuft, weil es weder Grabscheite noch Aerme giebt, um sie zu begraben. Schon hat die Wärme diese Leichname in Fäulniß gebracht; der dadurch in allen Stadtvierteln verbreitete Geruch, verbunden mit dem aus den Stadtgräben, wo noch eine Anzahl von Leichnamen auf einander gehäuft liegt, die verpestete Luft, welche rings herum die Ueberreste einer unermeßlichen Menge todter Pferde verbreiten, -- alle diese Scheuslichkeiten machen Smolensk bei der gegenwärtigen drückenden Hitze zum abscheulichsten Aufenthalt der Erde.


Smolensk, am 1. September 1812.

Ich habe die Hoffnung, Sie wiederzusehen, gänzlich aufgegeben; von einer fürchterlichen, durch die ausgestandenen Beschwerlichkeiten und die verderbliche Atmosphäre verursachten Krankheit ergriffen, von den heftigsten Fiebern erschüttert, werde ich, wie man glaubt, das Ende des Feldzuges nicht erleben; ich bin indeß so glücklich, meine volle Besinnung erhalten zu haben, und kann mit einer Gegenwart des Geistes, deren ich mir sonst nie bewußt gewesen bin, zwölf bis dreizehn Stunden täglich Geschäfte besorgen. Einige Hoffnung der Herstellung setze ich in die strenge Diät, welche ich mir vorgeschrieben habe, und die in aller Hinsicht zu einer sehr gelegenen Zeit kommt; denn für zehn Louisd'or könnte man sich hier nicht eine einzige Flasche Wein oder gute Nahrungsmittel verschaffen; übrigens kümmert uns die Sorge für uns selbst jetzt am wenigsten, und wir arbeiten rastlos für die Bedürfnisse der unserer Fürsorge anvertrauten Truppen.

Wir befolgen dabei einen Gang, der von dem bis jetzt in den eroberten Ländern befohlenen ganz verschieden ist; die zur Herbeiholung der Lebensmittel, oder besser zu sagen, zum Plündern unserer Verfügung überlassenen Truppen haben eine ganz entgegengesetze Bestimmung erhalten, und schon beginnen wir die glücklichsten Folgen davon zu spüren. Alle aus ihren Wohnungen entflohenen Rittergutsbesitzer, welche man in den Feldern findet, werden mit Sicherheitswachen in ihre Schlösser zurückgeschickt, ihre Familien folgen ihnen, und sie fangen wieder an, über ihre Bauern eine Herrschaft auszuüben, die wir beschützen; und wenn wir sie gegen die Nachzügler in Sicherheit setzen, so werden sie fortfahren, uns nach ihren Kräften, Mehl, Brantwein, Korn, Vieh und Fourage zu schicken.

Wir haben eine große Anzahl Damen, Gattinnen oder Töchter Russischer, der Armee folgenden Staatsbeamten, in einem großen, mit Sicherheitswachen versehenen Hause vereinigt, und geben ihnen dort, so weit wir vermögen, alles, was sie bedürfen. Alle Russische Priester sind in der Hauptkirche zusammengebracht, und werden ebenfalls mit der größten Achtung behandelt; ich habe ihnen die Bewachung des in ihrer Kirche befindlichen Schatzes anvertraut, obwohl ich den Befehl hatte, denselben nach Frankreich anführen zu lassen. Nicht des Goldes bedürfen wir, alles wäre verloren, wenn diese unpolitische Räuberei überhand nähme. Ueberhaupt überzeuge ich mich täglich mehr, daß es den Franzosen, wenn sie gewollt hätten, sehr leicht gewesen wäre, sich auswärts einen bessern Ruf zu erwerben, und selbst den Feinden Achtung für den Französischen Namen einzuflößen.

Wir sind so glücklich, einen der verdienstvollsten, kenntnißreichsten und menschlichsten General zum Gouverneur zu haben. Auch fangen die Landleute schon an, Zutrauen zu fassen; die jüdischen Kaufleute bringen uns Vorräthe mancherlei Art; dagegen schicken wir zwei Stunden Weges in die Runde Truppenabtheilungen aus, um die Zufuhren nebst ihren Führern und Pferden vor den Nachzüglern zu schützen, und sie sicher in die Stadt zu geleiten, und eben so lassen wir sie auch wieder bis außer dem Bereich der großen Heerstraßen zurückbegleiten. Man errichtet Backöfen und Schmieden, man stellt die Mühlen wieder her, und die Besatzung fängt allmälig an, die Todten zu begraben.

Wir erfahren, daß unsere Truppen in Doroghobusch, fünf und zwanzig Stunden Weges von hier, eingerückt sind.


Smolensk am 10. Sept. 1812.

Die gelinderen, menschlicheren Maßregeln, die wir hier gegen die zurückgebliebenen Einwohner befolgt haben, sind eine heilsame Neuerung, und gewissermaßen eine Insubordination, welche die hiesigen Militair-Autoritäten auf sich genommen haben, und deren heilsame Wirkungen sich täglich mehr zeigen. Ohne irgend einige Zwangsmittel kommt von allen Seiten Zufuhr an, gleich als ob wir Millionen in der Casse hätten, um sie den Land-Eigenthümern im Gouvernement von Smolensk, die uns solche schicken, zu bezahlen. Die größte Ordnung herrscht hier gegenwärtig, und zeigt deutlich, wie viel Gutes die Gegenwart einiger wenigen gutgesinnten unerschütterlichen und arbeitsamen Vorgesetzten vermag. Beim Abzuge der Französischen Armee waren wir, wie ich Ihnen schrieb, von Allem entblößt; jetzt haben wir sieben ungeheure Magazine voll Mehl, Brantwein und Reis, woraus eine Armee von hunderttausend Mann vierzehn Tage lang erhalten werden kann.

In der kleinen Stadt Klementina, einige Stunden Weges von hier, hat man fast eben so beträchtliche Vorräthe gesammelt; und der Park ist voll von Vieh. Das Hornvieh, welches aus den Ländern jenseits der Weichsel, aus Preußen und aus Dännemark ankömmt, kann jetzt der Armee nachgetrieben werden, um zu deren Verbrauch zu dienen.

Obwohl schwerlich zu glauben, daß die gänzlich verdorbene Militair-Straße von hier nach Viazma der Armee verstatten wird, über Smolensk zurückzukommen, so sind wir doch jetzt darauf eingerichtet, ihr in diesem Falle Hülfsquellen darzubieten; allein wie viel Arbeit, Mühe und Strenge haben wir nicht anwenden müssen, um dahin zu gelangen! Wahr ist es, daß wir unter unserer so verschrienen Armee Beamte gefunden haben, welche stets geneigt waren, gelinde Mittel und sanfte Behandlung der Einwohner anzuwenden. Freilich fehlt es auch nicht an entgegengesetzten Charakteren; allein bei den Franzosen kommt alles auf die Anführer an. Es ist jetzt ausgemacht, daß unter zehn Nachzüglern kaum zwei Franzosen sind.

Die Russen haben die heilige Ebene nicht benutzt, um uns eine Schlacht zu liefern; die Französische Armee ist ohne Schwedtstreich hindurch gezogen, aber auch ohne dem Feinde Abbruch zu thun, oder in den Städten, die er uns überlassen hat, irgend etwas vorzufinden.

Morgen beginnt hier, nach der Versicherung der Einwohner, die regnigte Jahreszeit; auf diese folgt gewöhnlich der Frost, welcher von den ersten Tagen an von Grad zu Grad steigt.


Smolensk den 11. Sept. 1812.

Ein Eilbote bringt uns so eben die Nachricht, daß die Russische Armee endlich am 7ten dieses Monats sich auf eine Schlacht eingelassen hat, daß sie geschlagen ist, daß man ihr, ohngeachtet ihrer vortheilhaften Stellung, eine Menge Geschütz abgenommen hat, und die Ueberreste derselben auf dem Wege nach Moskow verfolgt.


Smolensk den 15. Sept. 1812.

Briefe von Augenzeugen rühmen einstimmig den unglaublichen Muth unserer Truppen in der Schlacht bei Mosaisk. Am 7ten morgens war der geringe Vorrath von Zwieback unter die Truppen vertheilt worden; allein im Ganzen war der Soldat von Beschwerlichkeiten und Hunger im höchsten Grade abgemattet, und seit mehreren Tagen hatte keine regelmäßige Vertheilung von Lebensmitteln Statt gefunden; die Nacht war kalt gewesen, und nicht ein Tropfen Brantwein vorräthig, um den Soldaten zu erwärmen. In diesem Zustande war die Armee, als Man ihr die Proclamation vorlas, welche die Schlacht ankündigte, und zugleich mit dem Siege Ueberfluß verhieß.

Der Feind hingegen hatte sich in eine vortheilhafte, durch Verschanzungen gedeckte Stellung zurückgezogen. Zu seiner Rechten hatte er einen Fluß; vor sich tiefe Klüfte, und links einen dichten Wald; wohlversehn mit Lebensmitteln und Brantwein, wovon jeder Soldat ungefähr noch zwei Flaschen mit sich führte, erwartete er uns festen Fußes. Aus dem achtzehnten Bülletin werden Sie sehn, daß die seit dem Anfange des Feldzuges getödtete oder gefangene Russische Armee am Tage der Schlacht noch eben so stark und vielleicht stärker an Zahl war, als die unsrige, und daß auf der andern Seite unsere, beim Uebergang über den Niemen dreimalhundert funfzig tausend Mann starke Armee, obwohl sie in den verschiedenen Gefechten seit dem 20. Junius fast nichts verloren hatte, in der Schlacht vom 7. September nur höchstens hundert und dreißig tausend Mann aufstellte.


Smolensk den 17. Sept. 1812.

Anstatt den Feind unmittelbar nach der Schlacht durch vierzig bis funfzig tausend Mann kaiserlicher Garde verfolgen zu lassen, hat man vier und zwanzig Stunden gewartet, bevor man sich in Bewegung setzte; der Feind hat diese Zeit benutzt, um sich dem Angriff zu entziehen. So hat also die Schlacht von der Moskwa die Französische Armee um fünf und dreißig tausend Mann vermindert, ohne anderen Vortheil, als eine Anzahl Kanonen.

Wir haben Befehl, von hier aus alles, was nur im Stande ist, zu marschiren, der Armee nachzuschicken, und selbst Leute, die kaum hergestellt sind, begeben sich in sogenannte Marsch-Bataillons formirt, auf den Weg. Dieser letztere Ausdruck wird, weil er noch neu ist, für Sie ein Räthsel seyn. Ein Marsch-Bataillon besteht aus einer, ungefähr die Truppen-Menge eines Bataillons ausmachenden Anzahl Officiere und Soldaten, ohne Unterschied der Corps und Regimenter, wozu sie gehören, welche sich an einem Orte zusammenfinden, und bloß als ein Erleichterungsmittel zum Transport zahlreicher Detaschements von Recruten, Nachzüglern und Reconvalescenten zu einstweiligen Bataillons vereinigt werden. Hier kennt weder der Commandant die Officiere, noch diese die Soldaten, welche letztre ihrerseits weder Officiere noch Commandanten kennen; alle hoffen sich bald wieder zu trennen, und kümmern sich wenig um gegenseitige Zufriedenheit. In diesem vorübergehenden Vereine, der durch kein gegenseitiges Vertrauen belebt wird, wird mit übler Laune und Rauhheit commandirt, mit Widerwillen gehorcht, und, wenn es zum Kampfe ginge, würde wenig von einem solchen Bataillon zu erwarten seyn. Es ist schlimm, daß diese Einrichtung mißbraucht, um uns Kinder, schwache Leute, und Reconvalescenten zuzuschicken, welche man gezwungen hat, die Hospitäler zu früh zu verlassen, und die hieher kommen, um zu sterben, ohne jemals im Stande gewesen zu seyn, eine Flinte zu tragen. Ungeachtet aller Sorgfalt, die wir anwenden, um die Hospitäler so viel als die Transportmittel verstatten, räumen zu lassen, und alle Verwundeten, welche das Fahren vertragen können, zurückzuschicken, entsteht dennoch eine Anhäufung von Kranken, welche täglich verderblicher wird, indem die Ankommenden den Lazarethen neue und denselben bisher unbekannte Krankheiten zubringen. Es ist ein herzergreifender Anblick, alte, durch Tapferkeit ausgezeichnete Soldaten plötzlich schwachköpfig werden, beständig weinen, jedes Nahrungsmittel verweigern, und in drei Tagen sterben zu sehen. Sie sehen mit hohlen Augen ihre Bekannten an, ohne sie zu kennen, ihr Körper schwillt an, und ihr Tod ist unvermeidlich. Bei manchen andern sträuben sich die Haare, und werden hart, wie Stricke; die Unglücklichen sterben, unter den fürchterlichsten Verwünschungen, an einer Art von Schlagfluß. Gestern starben zwei Soldaten singend, nachdem sie erst fünf Tage im Hospitale gewesen waren, und vom zweiten Tage an bis zu ihrem Tode beständig gesungen hatten.

Selbst Thiere sind dieser plötzlichen Vernichtung unterworfen; Pferde, welche ganz gesund zu seyn scheinen, sind am folgenden Tage todt, ohne daß man die Ursache davon errathen kann; vielen, die auf einer guten Weise weideten, fingen plötzlich die Beine an zu zittern, und gleich darauf stürzten sie todt nieder.

Neulich kamen funfzig mit Italienischen und Französischen Ochsen bespannte Wagen hier an; diese Thiere schienen in sehr gutem Stande zu seyn, allein keines wollte fressen. Viele warfen sich nieder und waren in einer Stunde todt. Man fing daher an, um einigen Nutzen von diesen Ochsen zu ziehen, die noch übrigen zu tödten; alle Fleischer des Orts und mehrere dazu aufgebotene Soldaten eilten zu dem Ende mit Beilen herbei. Keins dieser Thiere, die weder festgehalten, noch angebunden wurden, machte die mindeste Bewegung, um dem Schlage auszuweichen. Dieß Schauspiel erneuert sich seitdem bei jedem ankommenden, mit Ochsen bespannten Transporte, und in dem Augenblick, wo ich Ihnen schreibe, sind zwölf Menschen beschäftigt, hundert Ochsen, welche so eben mit Fuhrwerken des neunten Corps angekommen sind, aufs eiligste abzuspannen und zu tödten. man wirft ihre Eingeweide in ein stehendes Wasser, mitten auf dem Platze, an dem ich wohne, wo sie mit den, seit unserer Ankunft hineingeworfenen menschlichen Leichnamen, verfaulen werden. Denken Sie sich das Schauspiel, welches ich vor Augen habe, und die Luft, welche ich einathme; der bisher unbekannte Anblick so vielfachen zerstörenden Elendes macht auf die entschlossensten Krieger einen höchst verderblichen Eindruck; auch gehört wirklich eine mehr als menschliche Festigkeit dazu, nicht davon ergriffen zu werden.


Smolensk, den 24. Octob. 1812.

Auf den Regen ist Frostwetter gefolgt; heute trägt das Eis schon beladene Wagen; der Winter ist da, und mit ihm eine Unzahl von Beschwerlichkeiten aller Art. Die Kälte macht die Bivouacs tödtlich. Man wünscht wenigstens des Nachts die Truppen unter Dach zu bringen; zu dem Ende werden die hiesigen Kranken und Verwundeten, die irgend zu marschiren im Stande sind, aus unsern Hospitälern in die rückwärts liegenden geschafft. Alle zurückgehende Fuhren werden benutzt, die Kranken, welche das Fahren ertragen können, zurückzuschicken; allein es trifft auf der Straße von Moskow eine so große Anzahl Kranker ein, daß es unmöglich ist, die Ueberhäufung der Hospitäler zu verhindern.


Smolensk, am 27. Octob. 1812.

Wir erhalten so eben die officiele Nachricht, daß Napoleon Moskow am 19ten mit der Armee verlassen hat, um sich an den Dnieper zurückzuziehen; allein wir kennen noch nicht den Weg, auf welchem dieser Rückzug Statt haben wird.

Täglich gehen verwundete Generale und Officiere nach Preußen ab, ohne ihre Heilung abzuwarten; mehrere unter ihnen, welche vergebens weitere Ordre erwarteten, gehen aus Vorsicht nur bis nach Wilna. Mich halten Ehre und Pflicht hier zurück, und ich erwarte mein Schicksal mit Ergebung.

Ich lasse Tag und Nacht Brod backen, wovon ich bedeutende Vorräthe bei der Ankunft unserer unglücklichen Landsleute bereit zu haben wünschte; Stündlich treibe ich die, mit diesem Geschäfte beauftragten Unterbedienten an; allein mehrere sind mir schon entlaufen, und nur mit Bajonetten kann ich die Uebrigen zurückhalten. Ich hatte eine große Menge Vieh in der Umgebung dieser Stadt zusammenbringen lassen; allein die feindlichen Streif-Corps nahmen uns mehrere Heerden desselben weh. Man hat es daher in die Stadt Krasnoi bringen müssen. Sogar die Truppenabtheilungen, welche sich als Sicherheitswachen in den umherliegenden Schlössern befanden, sind durch die feindlichen Streifer genöthigt worden, nach Smolensk zurückzukehren. Die Zufuhren vom Lande bleiben aus, und zwei unserer Transporte, bestehend aus fünf und sechzig beladenen Wagen, und zweihundert und funfzig Pferden, sind und weggenommen.

Die Kälte ist sehr heftig, und steigt täglich. Die Russischen Generale haben ihren Soldaten, welche doch an das Clima gewöhnt sind, Pelze geben lassen; die unsrigen hingegen sind beinahe nackend; um sich zu erwärmen, verbrennen sie die Häuser, und er vergeht beinahe keine Nacht, ohne daß wir eine Feuerbrunst haben. Um wenigstens die Magazine zu retten, habe ich sämmtliche Vorräthe in massive Häuser bringen lassen.


Smolensk, den 7. Novemb. 1812.

Ein Eilbote bringt uns den Befehl, der Armee, welche an Allem Mangel leidet, Brod, Reis, Zwieback und Brantwein entgegenzusenden; schon sind zwei bedeutende Transporte abgegangen. Ich fürchte nur, daß es äußerst schwierig seyn werde, die hier zusammengebrachten Hülfsmittel aufzubewahren, und jedem der Ankommenden das Seinige regelmäßig zuzutheilen. denn jede Nacht machen die hieher geflüchteten Versprengten und Nachzügler Versuche, die Magazine zu erbrechen. Diese indiciplinirten Soldaten vermehren unsere Verlegenheit, ohne sich vertheidigen zu können. Denn lange schon haben sie ihre Waffen weggeworfen.


Smolensk, am 10. Novemb.

Gestern ist Napoleon mit seiner Garde hier eingetroffen. Zu Fuße begab er sich von dem Thore von Moskow in den oberen Theil der Stadt, wo seine Wohnung bereitet war. Da der Aufgang zu dieser Anhöhe mit Eis bedeckt war, und es an Eisen, Kohlen und Schmieden fehlt, so ist es äußerst schwierig, die Fuhrwerke hinauf zu bringen; denn die Zugpferde sind so schwach, daß sie sich, wenn sie einmal stürzen, nicht wieder zu erheben vermögen. Heute haben wir sechszehn Grad Kälte. Die Soldaten, welche von Moskow zurückkommen, sind theils in Männer-, theils in Weiberpelze gehüllt, mit wollenen oder seidenen Zeugen von allen Farben bedeckt, und haben Kopf und Füße mit Lumpen umwickelt. Ihre Gesichter sind entstellt, und durch den Rauch der Bivouacs geschwärzt, ihre Augen roth und hohl, kurz, sie gleichen einer Anzahl Leute, die dem Irrhause entlaufen ist. Diejenigen, welche vor Kälte, Hunger und Ermattung niederstürzen, finden auf der Straße ihren Tod, ohne daß einer ihrer Kameraden bei ihrem Unglück die mindeste Rührung zeigt, oder ihnen Hülfe leistet.

Um die Plünderung der Magazine zu verhindern, ist beschlossen, daß die Armee außerhalb der Wälle bleiben soll; nahe dabei sind die Ställe des Kriegsfuhrwesens; heute berichten mir zwei Vorgesetzte desselben, daß die Soldaten in der vergangenen Nacht zweihundert und zehn Pferde aus den Ställen weggenommen und geschlachtet haben, um sie zu essen. Wer noch ein Brod oder etwas von sonstigen Nahrungsmitteln übrig hat, ist seines Lebens nicht mehr sicher. Er muß es abgeben, wenn er nicht ermordet werden will.

Seit Napoleon's Ankunft ist mir die Ruhe fremd; ich muß die Vorräthe unter jedes Armee-Corps vertheilen, und ich zweifle, daß sieben Schildwachen, welche Tag und Nacht um mich sind, im Stande seyn werden, mein Leben gegen die unglücklichen, halbverhungerten Menschen, welche unaufhörlich auf mich eindringen, zu schützen; um nur ein Stück Brod zu erlangen, setzen sie sich gern zwanzig Hieben aus. Staabsofficiere haben mein Fenster erbrochen und es erstiegen, um Nahrungsmittel von mir zu erlangen, obwohl sie wußten, daß Napoleon über alles, was im Magazin vorräthig war, Verfügungen getroffen hatte, und sie ihren Theil davon bekommen würden. Obgleich es daher nicht in meiner Macht stand, hierin etwas abzuändern, so schrieen und baten sie doch dermaßen, daß es mit unmöglich war, ihnen zu widerstehen; ich unterzeichnete, was sie verlangten, sie entfernten sich durch das Fenster, wie sie gekommen waren, und dankten mir für eine Handlung der Menschlichkeit, wofür ich vielleicht in einer Stunde erschossen werden kann. Alle Angestellten zu Smolensk erliegen unter der Last ihrer Arbeiten. Viele haben sich ohne Erlaubniß entfernt, andre gehorchen nicht mehr. Die Vertheilung der Lebensmittel geschieht ganz zum Vortheil der Garde, und man hat kein Verhältniß dabei beobachtet, gleich als ob der Rest der Armee, der doch so tapfer gekämpft hat, des Lebens unwerth wäre. Ich glaube nicht, daß die kaiserliche Garde alle Lebensmittel, die man ihr verwilligt, fortschleppen kann, während man andre Truppen Mangel leiden läßt.


Smolensk, den 12. Novemb. 1812.

Einige Tage vor dem Abmarsch aus Moskow ist eine ohne Zweifel in den Jahrbüchern der Menschheit beispiellose Tagesordnung bei der Armee bekannt gemacht worden. Jeder Anführer eines Corps hat nämlich ein Verzeichniß 1) der Verwundeten, deren Herstellung in acht Tagen erfolgen könnte; 2) derjenigen, deren Genesung in vierzehn Tagen bevorsteht; 3) derer, die muthmaßlich in einem Monat genesen könnten, einreichen müssen; 4) hat die Anzahl der Leute, deren Tod in vierzehn Tagen, und 5) die Anzahl derer, deren Tod in acht Tagen zu erwarten wäre; endlich die Anzahl der Soldaten, welche noch im Stande wären, die Waffen zu tragen und zu fechten, genau angegeben werden müssen. Zugleich ist der Befehl beigefügt worden, nur denen in der ersten Classe Befaßten Pflege angedeihen zu lassen, die übrige aber sich selbst zu überlassen.

Ich schweige, und stelle die Beurtheilung dieser Maßregeln Ihrem eigenen Gefühle anheim.

Man verläßt Smolensk und arbeitet daran, die Festungswerke in die Luft zu sprengen. Zugleich will man den größten Theil des aus Mangel an Pferden nicht fortzubringenden Materials der Artillerie und eine unzählige Menge anderer Kriegsgeräthschaften verbrennen; nur Lebensmittel sollen mitgenommen werden. Fünftausend Kranke oder Verwundete werden zurückgelassen. Schon hat der Director der Proviantvertheilungen sie nicht mehr in dem Verzeichniß der Austheilungen begriffen, und mit der größten Mühe hat man einige Säcke Mehl für diese Unglücklichen erlangt. Die Gesundheitsbeamten und andre Angestellte, welche man bestellt hatte, nach Abzug der Armee für sie zu sorgen, sind verschwunden, vermuthlich, weil sie befürchten, gefangen oder gar getödtet zu werden.

Die Gefahren mehren sich. Zum viertenmale seit fünf Tagen bin ich gestern auf dem Punct gewesen, ermordet zu werden. Italienische und Deutsche Officiere, welche die Wache bei den Brantwein-Magazine commandirten, erbrachen selbst die Thüren, und betranken sich mit mehreren ihre Cameraden; in der Betrunkenheit kamen sie unter einander in Streit und endlich zu Thätlichkeiten. Ihre Soldaten benutzten den Tumult, um sich ebenfalls zu betrinken, und als ich von diesem Unwesen benachrichtigt, mit einer neuen Wache anlangte, um denselben zu steuern, wandten sie wüthend ihre Waffen gegen uns. Wir mußten sie ihnen abnehmen, sie auseinander bringen, und uns begnügen, sie aus den Magazinen zu treiben. Leider folgte die Strafe auf dem Fuße; die Betrunkenen schliefen in der Nähe des Magazins ein, und erfroren in der folgenden Nacht; heute morgen fanden wir ihre Leichen.

Solche und andre noch schrecklichere Scenen erneuern sich täglich; man bestiehlt sich ungescheut und ungestraft; einige verzehren an einem Tage den Vorrath von einer ganzen Woche, und sterben entweder an der Unverdaulichkeit der in Uebermaß genossenen Speisen, oder ziehen sich tödliche Krankheiten zu. Andern wird der Brantwein tödtlich, der mäßig genossen die zuträglichsten Folgen für sie haben konnte. Alle Ordnung, alle Klugheit, alle vernünftige Berechnung scheint unter der Armee verschwunden zu seyn; jeder handelt, als ob der gegenwärtige Tag sein letzter wäre. Diese sonst so tapferen und gehorsamen Krieger sind vom Schrecken und Schwindel ergriffen, und scheinen ihrem Verderben absichtlich entgegen zu gehen.

Napoleon geht mit seiner Fußgarde ab; von der Cavallerie kann nicht mehr die Rede seyn. Ich weiß nicht, woher er die nöthige Reiterei zum Vortrabe nehmen will. Artillerie ist fast gar nicht mehr da; und die wenigen noch vorhandenen Trainpferde sind kaum noch im Stande, sechs Tagesreisen zu machen; und doch ist Wilna zwölf Tagesreisen von hier entfernt.

Man hat alle Schlitten zusammengebracht, die man auffinden konnte; ich selbst hatte ihrer zwei, die man mir genommen hat; ich muß daher, obgleich ich äußerst krank bin und mich kaum auf den Beinen halten kann, zu Pferde steigen. Durch vieles Bitten und zehnfache Bezahlung bin ich dahin gelangt, demselben die Hufeisen schärfen zu lassen. Meinen Reisewagen und sämmtliches Gepäck muß ich zurücklassen.

Mann hat mir versprochen, meine Dienste zu belohnen; allein die einzige Belohnung, worauf ich Werth setze, ist die Befreiung von der großen Last, womit ich, der ich schon mit einem Fuße im Grabe stehe, seit drei Monaten beladen bin.


Smolensk, den 15. Novemb. 1812.

Endlich habe ich gestern Abend die verspätete Ordre zum Rückzuge erhalten, als drei Viertheile meiner Untergebenen schon verschwunden waren, ohne sie abzuwarten. Meine Vorbereitungen waren getroffen, und ich habe meine Wohnung verlassen, über welche schon seit einige Stunden die feindlichen Kanonenkugeln hingingen.

Das dritte Armee-Corps, welches den Nachtrab der Armee ausmacht, ist zum Theil noch in der Stadt. Wir haben fünf und zwanzig Grad Kälte. In dem Augenblick, wo ich Ihnen schreibe, brennt es an mehrern Orten der Stadt; durch den Lärm herbeigezogen, durchlief ich mit meinen Unglücksgefährten einige Straßen; welche einen erbarmungswerthen Anblick gewähren die armen Soldaten! ihre abgezehrten Gesichter, die gänzliche Abspannung, die sich in allen ihren Bewegungen zeigt, die Lumpen, worin sie eingehüllt sind, geben ihnen, zumal im Scheine der Flammen, ein Gespensterähnliches Ansehn; aber was vollends das Herz ergreift, ist der Anblick mehrerer Soldatenfrauen, die man nicht hat hindern können, der Armee zu folgen, und die auf Stroh liegend ihre kleinen Kinder zu erwärmen streben, und sie dennoch einem frühzeitigen Tode nicht entreißen können.

Während des gestrigen ganzen Tages sind die Corps der kaiserlichen Garde, welche den Weg nach Krasnoi einschlagen, zum Thore von Wilna ausmarschirt; das Gedränge war dabei so heftig, das Napoleon beinahe erdrückt wäre. Mehrere Verwundete entschlüpften den Hospitälern, schleppen sich bis ans Thor, und flehten, so oft ein Pferd, ein Wagen oder ein Schlitten vorbei kam, mitgenommen zu werden; allein ihre Klagen und ihr jämmerliches Angstgeschrei waren umsonst. In einigen Stunden werde ich mit dem Generalstaabe die Stadt verlassen; der Feind erwartet uns auf unserem Wege.


Ein anderes Schreiben.[]


[3] Ein anderes Schreiben vom 22sten August sagt:

Seit 8 Tagen bin ich beynahe nicht vom Pferde gestiegen; allein, wenn sie Sachen gut gehen, fühlt man die Strapazen nicht. Wir sind nun endlich in dem Herzen von Rußland. Hier ist es, wo der russische Adel seine schönsten Besitzungen hat, und in dieser Hinsicht kann man mit den Gegenden von Petersburg, welche ungesund und von Seen und Morästen durchschnitten sind, keinen Vergleich anstellen.

Nie wird das Schauspiel, welches das Innere von Smolensk bey unserm Einzuge in diese Stadt darbot, aus meinem Gedächtnisse erlöschen. Stellen Sie sich alle Straßen, alle Plätze mit todten oder sterbenden Russen angefüllt und die Flammen vor, welche von allen Seiten dies schreckliche Gemälde erleuchteten. Nichts war rührender, als die Franzosen sich mitten in die Flammen stürzen und die Fortschritte des Feuers hemmen zu sehen, und zwar zur Zeit, wo sie sich etwas hätten ausruhen können. Unglücklicher Weise war es unmöglich, die von Holz gebauten Quartiere zu retten.

Mit jedem Augenblick sehe ich Kolonnen von Gefangenen durchpassiren, unter andern den General Tutschkow, Bruder des Oberbefehlshabers eines der Korps von Barclay de Tolly; und den Oberst Armfeld, Neffen des Generals dieses Namens, der sein Vaterland so oft verwechselt hat. Die ganze Armee beweint den braven General Gudin. Man hatte ihm den Schenkel oberhalb des Knies abgenommen, allein es war unmöglich ihn zu retten. In jeder Stunde des Tags zeigten sich eine große Anzahl Officiere vor seiner Wohnung, um zu erfahren, wie er sich befände. Seit funfzehn Jahren sah ich ihn beständig auf den Posten der Ehre und Gefahr; er war eben so tapfer als geschickt. Er war ein Löwe im Gefecht, und im bürgerlichen Leben war es unmöglich mehr Anmuth und Sanftmuth zu besitzen. Uebrigens wurde sein Tod tapfer gerächt. Wir haben ein schreckliches Gemetzel in dem Gefechte von Valontina angerichtet. Die russischen Generale Mamenski und Escalon blieben auf dem Schlachtfelde. Seit diesem Augenblick verfolgt man die Armee, ohne sie erreichen zu können. Man sollte glauben, sie befürchten nicht zeitig genug nach Moskau zu kommen, um den Te Deum beyzuwohnen, das man ohne Zweifel daselbst absingen wird.

Die Deserteure und Gefangenen, die man in großer Anzahl macht, sprechen alle von den Zwistigkeiten und der Muthlosigkeit, welche in der feindlichen Armee herrschen. Man ist allgemein aufgebracht, so vieles Land verloren zu sehen, ohne eine einzige Feldschlacht gewagt zu haben. Die Gesundheit der Armee ist vortrefflich; Brot und Fleisch mangelt uns nicht; was den Wein betrifft, so können Sie leicht errathen, daß er nicht so gemein ist, wie in Burgund; allein wir können uns nicht beklagen, obgleich 2 bis 300,000 unerwartete Gäste diejenigen, welche sie empfangen, ein wenig in Verlegenheit setzen. In dem Augenblick wo ich in Dienst trat, hatten wir Furcht, die Russen möchten in die Franche Comté eindringen, und nun befinde ich mich beynahe vor den Thoren von Moskau.


Quellen.[]

  1. Allgemeine deutsche Zeitung für Rußland. No. 222. Sonnabend, den 14/26. September 1812.
  2. Minerva Ein Journal historischen und politischen Inhalts. Für das Jahr 1816. Leipzig in der Expedition der Minerva.
  3. Allgemeine deutsche Zeitung für Rußland. No. 231. Mittewoch, den 25. September/7. Oktober. 1812.
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